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Jahr: 1932-1934
Bemerkung:
ArtikelNr. 9990

 

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Berlin 1932-1934, Wannsee, Paal Kiss, Fotoalbum einer Sekretärin

Photoalbum, quer 8°, Kordelbindung, Leineneinband,134 montierte und meist in Photoecken eingeschobene s-w-Abzüge differenter Formate, handschr. auf 1932 – ca. 1934 datiert. Die (wenigen) Bildlegenden wurden wohl erst in den 1980ern ins Album geschrieben.

Photoalbum 3 von 4 aus dem Nachlass einer jungen Frau. Die Lebensgeschichte der Frau bis zur Heirat war recht abenteuerlich: Charlotte war vor ihrer (bürgerlichen) Heirat in den 1930ern eine geborene „Grumeth von Treuenfeld“. Ihre (1878 geborene, bürgerliche, deutsche) Mutter war um 1900 alleine die USA ausgewandert und hatte dort den ebenso ausgewanderten österreichischen Adeligen Grumeth von Treuenfeld kennengelernt. Die beiden heirateten, das Paar bekam 1908 und 1911 2 Töchter. Nach der baldigen Trennung zog die Mutter zurück nach Europa. 1914 befand sich die Frau in Frankreich und wurde als unerwünschte Ausländerin mit den Töchtern in Nizza interniert. Um 1919 kehrte die Familie nach Deutschland (Wiesbaden) zurück, die Mutter erzog - alleine und ohne Hilfe des Vaters – die beiden Töchter Charlotte und Evelyne. Die Mutter soll in oder bei Wiesbaden eine Pension betrieben haben, erzählte man in der Familie. Um 1929 zog Charlotte nach Berlin und arbeitete als Schreibkraft bei der „Preußenkasse“ (ab 1932 „Deutsche Zentralgenossenschaftskasse (Deutschlandkasse)“, heute „DZ-Bank“) und später wohl in einem Ministerium (evtl. dem Finanzministerium). Um 1932 lernte Charlotte ihren späteren Mann kennen, der bei Radio Berlin arbeitete. 1934 heiratete das Paar, ab 1940 kamen 2 Kinder, man lebte nun in Gauting bei München.

Hier sind Szenen der Jahre 1932 bis ca. 1934 festgehalten. Man sieht Charlotte beim Besuch in Paris im November 1931, in Berlin (16x, „Blick auf Berlin“, „Dom vom Büro Preussenkasse“, im Garten des Preußischen Finanzministerium 1933, Kollegin „Wölfchen von Kalenowski“ [richtig wohl „von Kalinowski“, die spätere Journalistin Burga?]), Baden und Kajak am Wannsee mit Freund 1932 (C. mit Boxkamera), „mit Kiss Paal und dem Hörbildungskurs am Schmelowsee“ (3x), Potsdam, Gauting 1934 (7x), Dr. Nettelrodt, „mit Gaydouls in Nikolassee“, an der Ostsee in Dievenow (ca. 15x), Zimmer in Belziger Straße Berlin, Gaydoul’s Garten Nikolassee 1934 (ca. 5x), „mit Dr. Laurenzi in Wilpark“, Skifahren (ca. 30x, 1x „1935 Oberjoch“), Wache am Ehrendenkmal Berlin, Potsdam.

Bemerkenswert sind die in Berlin entstandenen Photos, besonders jene, die 1932 (inmitten badender fröhlicher junger Menschen) den seit den späten 1920ern in Berlin lebenden, aus Ungarn stammenden jüdischen Pianisten jüdischen Glaubens Pál Kiss zeigen. Dieser wurde im Juni 1943 wegen „Rassenschande” (weil er mit seiner Freundin oder Ehefrau, der „arischen” Sängerin Charlotte an der Heiden, zusammenlebte) im Gefängnis am Alexanderplatz inhaftiert und 1944 nach Auschwitz verbracht, wo er im Januar 1945 starb. Die der Inhaftierung vorangehende Denunzierung erfolgte kurz nach einem seiner letzten Kon¬zerte – Johann Sebastian Bachs Konzert für vier Klaviere a-moll BWV 1065 – mit den Solisten Conrad Hansen, Ferry Geb¬hardt und Herbert von Karajan. In Luzern in der Schweiz existiert heute noch eine „Charlotte und Pal Kiss-an der Heiden Stiftung“.

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