Vivarium
> Deutschland 1933-1945
> Heimatfront 1939-1945
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Jahr: |
1948 |
Bemerkung: |
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ArtikelNr. |
9882 |
E-Mail
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Augsburg Pferrsee, Ukrainerinnen-Sklavenmarkt um 1942-1945, Luftkrieg. Handschr. Manuskript 1948
„Das Elternhaus u. sein Ende, Bilder aus der Kriegs- und Bombenzeit. Für die Familienchronik geschrieben“. 4°, Manuskript, 22 von Hand beschriebene Seiten, 1948. Dazu ein Blatt "Kurze Lebensbeschreibung" (mit handschr. Annotationen bis 1943). Autor ist Ernst Flessa, der 1867 in Augsburg als Sohn eines kgl. Bezirksgerichtsrats zur Welt kam. Mit ca. 60 Jahren bezog er mit seiner Frau ein Haus in Augsburg (Stadtbergerstraße, Pferrsee), nannte also im Laufe seines Lebens 2 Häuser in Augsburg seine Heimat. Wahrscheinlich vermischen sich in dem Bericht Erinnerungen an beide Lebensabschnitte. Mit 81 Jahren schreibt er vorliegenden wohl aus eigenem Erleben fußenden Text:
"Trotz der stillen Abgeschiedenheit [des in einer Nebenstraße Augsburgs gelegenen Hauses] war man mit einigen hundert Schritten in einer der Hauptstraßen der Stadt u. nochmal hundert Schritte weiter stand eine große, hohe Kirche. ... Hinter dem Hause war ein kleiner Hofraum mit einem uralten, laufenden Brunnen, der Grand [Rand?] aus Granit. ... Auch ein kleinwinziges Gärtchen schloss sich an. ... Was aber dem Ganzen noch besonderen Reiz verlieh, war die hohe etwa 1000 Jahre alte Stadtmauer, die im Norden die Grenze bildete ...
Kriegsgerüchte zogen um, bedrohten und lähmten alle Arbeitsfreudigkeit. Krieg? Ja, warum denn? ... Es hatten sich ja so viele Wunden des Ersten Weltkrieges noch nicht geschlossen. .. Immer noch hofften viele, die Wolken möchten sich wieder verziehen, doch innerhalb kurzer Zeit jagten die Kriegserklärungen einander. Es regnete Vorschriften und Zwangsmaßnahmen auf allen Gebieten ... Abgaben, Sammlungen lösten einander ab. .. Im Radio hörte man begeisterte Reden über Anfangserfolge, aber niemand konnte sich so richtig darüber freuen. ...
Täglich zog bei uns ein Trupp Gefangener vorbei, sie hatten ganz in der Nähe ihr Lager, es waren meist Franzosen. Sie wurden morgens zur Arbeit geführt und kehrten abends zurück. .. Das Franzosenlager wurde verlegt .. und bald zogen andere Gruppen ... bei uns vorbei in das von den Franzosen verlassene Lager. Meist waren es Frauen ... Wir konnten uns das alles erst nicht erklären u. frugen endlich einen behäbigen Bauern, der dem Lager zusteuerte. "Das ist der Ukrainische Sklavenmarkt ... wer einen Arbeitssklaven braucht, kann sich dort einen aussuchen. Sklavenmarkt! .. Viele wanderten dem Lager zu und kehrten nach kurzer Zeit mit einem, manchmal auch zweien der Gesuchten zurück. Meist waren es Bäuerinnen aus den ländlichen Umgebung .... Manche sprachen ganz freundlich mit ihren "Sklavinnen", frugen sie nach dem Woher und nach ihrer Familie. ... Einmal gab es eine aufregende Szene. Einige Neuankömmlinge baten vorübergehende Frauen aus der Nachbarschaft um etwas Brot, was ihnen bereitwillig gegeben wurde. 'Das darf nicht sein, die Leute bekommen schon zu essen', rief auf einmal eine zornige Stimme, eine eifrige Frauenschaftlerin erschien ... 'Was?', hieß es zurück, 'Sie haben jedenfalls noch keinen Hunger gespürt ... Wir lassen und das nicht verbieten!' Die Gaben flossen reichlicher und wir konnten uns nicht erklären, woher auf einmal die vielen Leute kamen. Zornig rief es wieder: 'Ich werde das Überfallkommando rufen'. [Antwort:] 'Jetzt schauns nur, dass Sie sich bald verdrücken mit ihrer schönen Armbinde...' Angesichts dieser kritischen Situation zog es die [Frau] vor, sich zu empfehlen und strebte mit eiligen Schritten der Straßenbahn zu ....
Bald verging kein Tag mehr, noch weniger eine Nacht, wo uns nicht Sirenengeheul in den Keller jagte. .. Der verhängnisvolle Tag nahte. Nachts halb zehn versammelten wir uns im Keller, es dauerte nicht lange, so schien die Hölle los zu sein. Krach folgte auf Krach. Eine Türe ... wurde durch den Luftdruck gegen uns geschleudert mit großer Wucht. Ein Mann und ich wagten es .. und stiegen in den zweiten Stock hinauf. Das Feuer kam uns entgegen, das Zimmer da oben brannte schon lichterloh. ... Inzwischen war es morgens 8 Uhr geworden, aber es war noch ganz finster, weil eine dicke glühende Rauchschicht über der Stadt hing. .. Wir wanderten die Straße, die noch nicht so stark mit Trümmern bedeckt war, wateten fußtief in Glassplittern unter Funken- und Ascheregen und sahen die ganze Stadt brennen. .. Die Vorstadt entlang, hieß es immer wieder: 'Auf der Straße gehen, nicht auf dem Gehsteig' Fortwährend stürzten Mauern ein und klirrten Fenster in tausend Scherben hernieder….“
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