Vivarium
> Antiquitaeten
> Gandhara
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Jahr: |
ca.200-300 |
Bemerkung: |
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ArtikelNr. |
9820 |
E-Mail
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Gandhara um 200 n.Chr., predigender Buddha mit Adoranten
Relief aus Schiefer, ca. 10x18x5cm. Gezeigt ein sitzender Buddha, diverse Menschen und eine Säule.
Das Stück entstammt dem Figurenschmuck eines Stupa. Der Reliquienraum des Stupas war außen mit einem skulpturengeschmückten Fries umgeben, der Szenen aus dem Leben Buddhas illustrierte. Die einzelnen Bilder waren meist durch Säulendarstellungen voneinander getrennt. Manche Bildstrecken sind oft in gleicher oder stark ähnlicher Form erhalten. Andere wiederum wandeln sich, wohl gab es in Gandhara (nicht erhaltene) eigene Quellen zum Leben des Buddha. (Angaben nach Stoye, „Leben des Buddha“ in „Gandhara, das buddhistische Erbe”, Zabern 2008). Tausende Reliefbestandteile sind erhalten (und kein einziger kompletter Fries).
In „Gandhara, das buddhistische Erbe” (Zabern 2008) findet sich ein Photo eines ähnlichen Reliefs (S.169) des predigenden Buddha. Der Fundort ist unbekannt, man datiert das Stück auf das 2. bis 3. Jahrhundert, seine Höhe beträgt 16.5cm.
Hinten ist ein Hohlraum für einen Zapfen sichtbar: Kleine Stupas waren aus Blöcken zusammengesetzt, die man mit Platten oder Zapfen miteinander verband.
Das Relikt wurde in den frühen 1960er-Jahren von einem deutschen Chemie-Manager erworben. Der Mann lebte mit Familie für einige Jahre in Karachi. Seine Frau erzählte mir, dass man damals als Souvenirs in Pakistan (von Teppichen abgesehen) nicht viel kaufen konnte. So erwarben zahlreiche Mitglieder der westlichen ExPat-Gemeinde Karachis eifrig Relikte von den regelmäßig anreisenden pakistanischen Antiken-Händlern. Diese kamen in die Häuser der Kunden, Teppiche wurden ausgelegt und ein Sammelsurium von Antiken in den Wohnzimmern der vermögenden Westler ausgebreitet. Gegen Bargeld und ohne jegliche Papiere wechselten die Stücke ihre Eigentümer.
Meist stammte die Ware aus der nordpakistanischen Region Gandhara, meist waren dort Tempel und Wandreliefs beraubt worden. Zum Fundort Jinan Wali Dheri nahe Taxila berichteten wohl pakistanische Archäologen um 2003: „Lange Zeit unternahmen Schatzsucher hier illegale Ausgrabungen. Auf der Suche nach Statuen gruben sie um den Stupa herum Tunnel“. (Zitat nach Gandhara, das buddhistische Erbe Pakistans, S.303).
In Gandhara (einer damals dicht besiedelten Region, die heute größtenteils zu Pakistan, im Osten zu Afghanistan gehört) verschmolzen vom 1. bis zum 5. Jahrhundert nach Christus bildliche Einflüsse des frühen Buddhismus mit solchen des Westens.
Beherrscht wurde Gandhara ab ca. 300 v.Chr. von Graeco-Baktrern, Indo-Skythen, Indo-Parthern, dann ab ca. 100 n.Chr. von den Kushana, einem Clan, der dem aus der zentralasiatischen Steppe entstammenden Volk der Yuezhi angehörte. Kanishka I. nennt sich ihr bedeutendster Herrscher, er regierte von ca. 127 bis 150 nach Christus sowohl in Gandhara als auch in weiten Teilen Nordindiens (darunter auch im Gebiet, in dem Buddha lebte). Ab ca. 350 fiel die Region an das Reich der Sassaniden, ab 500 an die „Alchon-Hunnen“, ab ca. 600 an einen türkischen Stamm.
Bedeutsam ist das Gebiet, da hier die frühen erhaltenen Darstellungen Buddhas und seiner Religion entstanden. Buddha war ca. 380 v. Chr. gestorben, seine Lehre verbreitete sich in den ersten Jahrhunderten ihrer Existenz, ohne dass wir dies anhand von Quellen verfolgen können. Ein wichtiger Förderer des Buddhismus war denn oben genannter Kanishka I., in seinem Herrschaftsgebiet sind gegen Ende des 2. Jahrhunderts v.Chr. Stupas, buddhistische Reliquientempel, nachweisbar. Erste Darstellungen des „Erleuchteten“ (bodhi = Erleuchtung) datieren auf das Jahr Null. Und obzwar die Macht in Gandhara im Laufe der nächsten Jahrhunderte von einem Volk zum anderen wechselte, blieb der Buddhismus bis zum 11. Jahrhundert (als das Gebiet islamisch wurde) die zentrale Religion der Region.
Rätselhaft bleibt erstens, weshalb es in Gandhara in den ersten Jahrhunderten nach Christus zu einem solch immensen Ausstoß von buddhistisch-religiöser visueller Propaganda kam und zum zweiten, weshalb nur religiöse, aber keine staatlichen oder andere Plastiken gefunden wurden und werden.
Textquellen zur Region und seiner Herrscher gibt es kaum. Auch Schriftquellen zum frühen Buddhismus sind sehr selten - und werden erst seit den 1990er-Jahren wirklich wissenschaftlich erfasst: Das „Early Buddhist Manuscript Project“ der University of Washington in Seattle ist hier an erster Stelle zu nennen. Unsere wichtigsten Quellen zur Frühgeschichte von Gandhara und seiner Religion sind also durch die Archäologie gewonnene Erkenntnisse.
Zu Archäologie, Kultur und Kunst Gandharas wurde eine bedeutende Ausstellung konzipiert, die man 2008 bis 2010 in Bonn, Berlin und Zürich zeigte. Der dazu publizierte Katalog (Michael Jansen / Christian Luczanits (Hrsg.): Gandhara, das buddhistische Erbe Pakistans. Katalog zur Ausstellung, Zabern Vlg., Mainz 2008) bringt zahlreiche Informationen zum Thema und ist die vom Antiquar benutzte Sekundärliteratur.
Gandhara „bezeichnet zum einen eine Region und zum anderen einen künstlerischen Stil. Die Kernregion .. war das Gebiet um die heutige Stadt Peshawar … Bezogen auf die Kunst … reicht [das Gebiet] von Kabul bis Islamabad und schließt auch das Swattal ein .. Hier entstanden [ca. im 1. Jahrhundert nach Chr.] … die ersten personifizierten Buddhadarstellungen.“ (S.10) „Da die ‚Wiederentdeckung‘ der Kunst Gandharas ins 19. Jahrhundert datiert, können heute wesentliche Fragen nicht mehr geklärt werden. Die chronologische Zuordnung eines Großteils der Objekte ist z.B. .. problematisch. Nicht nur gibt es für die meisten Funde keine gesicherte Stratigraphie, vielfach ist nicht einmal der Herkunftsort bekannt, sogar die Zuschreibung der inschriftlich datierten Objekte ist oft umstritten.“ (S.13). „Die meisten Objekte wurden so zu kontextbefreiten Einzelstücken. So hat sich kein einziger größerer Zyklus des Buddhalebens – ein Thema, das sich praktisch auf jedem mit Reliefs ausgestatten Stupa Gandharas befunden hat – vollständig bzw- unzweifelhaft rekonstruiert erhalten. Darüber hinaus besitzt etwa die Hälfte der heute in Museen befindlichen Objekte keine gesicherte Provenienz…“ (S. 20).
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