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Jahr: 1932
Bemerkung:
ArtikelNr. 95

 

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4 Seiten, eine s-w-Abb. auf Titelseite (Karikatur, hinten Hitler und Wels am Tische debattierend), 2 Falzen, partiell lichtverfärbt, schwache Falz oben außen in Ecke. Sonst schön. Äußerst seltenes Relikt der jüngeren Geschichte. Eine wenn auch eher kleine so doch durchaus beachtliche Quelle zur Geschichte des Deutschland zwischen den Kriegen.

„Wahl-Zeitung. Freiexemplar. ROTES HAMBURG. Organ der kommunistischen Bürgerschafts-Fraktion. Nummer 1, Februar 1932. (Erscheint 2mal wöchentlich während des Wahlkampfes in Massenauflagen und wird in jeden Haushalt gratis verbreitet. HERAUSGEBER: DER VORSTAND DER KPD-FRAKTION)“.
Einzige Schlagzeile nebst reichlichem Text und einer Karikatur auf der 1. Seite: „Das werktätige Hamburg fordert: Hinweg mit dem reaktionären Koalitions-Senat!“. Blocktext unten: „Für den Kandidaten der Arbeiter ERNST THÄLMANN!“
Die Schlagzeilen und Fettdrucktexte der nächsten Doppelseite: „Wer sind die Feinde der Gastwirte? Der ‚unpolitische‘ Kampf der Nazikreisleitung – Unverschämte SPD-Echo - Hetze gegen den Staat“, „Gleiche Brüder, gleiche Knappen! Nazis und SPD, die Streikbruchformationen der Brüning-Diktatur!“, „Kampfkongreß des roten Hamburg“, „SPD-Bürgerschaftsfraktion – Zuhälter der Klassenjustiz“, Rote Wahlhelfer! Auch du gehörst dazu! Zeichne dich heute noch ein!“, „Die Entwicklung des ‚sozialen‘ Hamburgs“. Einzig herausstechender Bericht: „Rote Armee. Das Bollwerk gegen die Brandfackeln im Osten. Öffentl. Kundgebung: Freitag, 26. Febr. 1932, bei Sagebiel. Es spricht: Willi Leaw, MdR [......]“.
Auf der letzten Seite viele Annoncen, die breiteste von allen meldet: „TOTAL-AUSVERKAUF wegen vollständiger Aufgabe des Geschäfts! ‚Der weiteste Weg lohnt sich‘ 75%!! ..sollen restlos geräumt werden. Einige Beispiele: Kinder Strümpfe, B’wolle.....Paar 24 & [sic]. Kinder Strümpfe, r.Wolle......Paar 38&“. Kaufen kann man diese Dinge bei „WESTERICH’S ‚billige Ecke‘ Barmbeck, Am Markt 39“. Ein üppiges Anzeigenfeld ist fast unbedruckt. Um das Wort „RESERVIERT“ ein schwarzer Rahmen, das ist alles. Die restlichen Kleinanzeigen bieten ein buntes Bild. Es werben z.Bb. Bäckerei Seestädt, Weinhandlung Otto Pohl, Colombo-Kaffe, Ohmers Tabake, „Zur Venushalle / Alle Genossen der Kpd verkehren bei / F. Rieck, Venusberg 3“, Fettwarenhaus Th. Böschke, Elbbrückenschänke Zweibrückenstrasse, Arbeiter-Verkehrslokal Westergaard-Schmidt, Verkehrslokal der Hafenarbeiter Ellerkamm – Schlachterstrasse, Schlachterei Heinrich Holstein – Breiter Gang 2. Der reimende Werbeslogan „Wählt Eure Arbeiter-Bekleidung bei Firma LESSER, denn nirgends kauft ihr besser“ sticht hervor.
Die Kleianzeigen zeichnen ein sonderliches Bild der KPD-Anhängerschaft Hamburgs: Von gesamt 36 Anzeigen machen Lebensmittel-Annoncen den größten Anteil mit rund 45% (15 Anzeigen) aus. Es folgen die (von mir benannten) Sektionen „Gastronomie und Arbeiterlokal“ mit fast 30% (9 Anzeigen), „Textil und Einrichtung“ mit ebenso fast 30% (9 Anzeigen). 3 Sektionen stehen für sich: Tabak (1 Anzeige), Alkohol (1 Anzeige) und Kultur. Allerletztere Sektion „Kultur“ wird vertreten durch: „Papier- und Schreibwaren, reichhaltige Leihbibliothek, kein Pfand, Nur Heinrich Tretau, Wexpassage 5“.
Über den Kleinanzeigen, die ca. 80% der Seite befüllen, findet sich der letzte Artikel der Zeitung: „Die ‚Eisernen‘ streiken“. Dieser versucht verschlüsselt, SPD-Wähler abzuwerben.

Auffallend die Selbstzerfleischung des linken Flügels der Weimarer Republik: KPD hetzt lieber gegen SPD als NSDAP. Bemerkenswert außerdem: Die Kommunisten drucken teils in Antiqua aber weitaus öfter in altdeutscher Type. Schaurig reaktionär! Die Kleinanzeigen sind jedoch sämtlich in Antiqua.

(c) Ingo Hugger  2020 | livre@cassiodor.com