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Jahr: 1919
Bemerkung:
ArtikelNr. 9382

 

E-Mail

Denkschrift des Ersten Generalquartiermeisters Generalleutnant Groener über die Lage am 17. Juni 1919, G.H.Qu.

4°, interne Kopie Nr. 305, 18 Seiten. Beiliegend 2 weitere Kopien à 4 Seiten (je mit Bleistift-Vermerk “IIb”): “V. Armeekorps, Generalkommando, Abt. Ia Org ... Betrifft Aufstellung der Reichswehr” (dat. 27.6.1919) und “... Korpsbefehl Nr. 59” (dat. 28.6.1919). Lichtrandig, falzig, kleine Läsuren, sonst gut. Die schreibmaschinenschriftlichen Texte wurden wohl mit Matritze vervielfältigt und an verschiedene Stellen der damaligen Deutschen Truppen ausgegeben. Vorliegende Exemplare gehörten wohl einst einem Angehörigen der Abteilung IIb des Generalkommandos des V. Armeekorps.

Groeners Denkschrift datiert auf den 17.6.1919 und wurde wohl hinsichtlich der drohenden Ratifizierung des Versailler Vertrages von den Verantwortlichen des Reiches und des Heeres angefordert. Im Text diskutiert Groener die Möglichkeit, den Kampf in Deutschland neu aufzunehmen und erläutert klar die fehlende Hoffnung auf Erfolg. Ca. 5 Tage nach Druck des Textes, am 22.6, kam es im Reichstag zur Abstimmung. Die Abgeordneten stimmten mit 237 gegen 138 Stimmen der Ratifizierung des Friedensvertrages zu und am 28.6.1919 unterschrieben ihn in Paris Außenminister Heinrich Müller und Verkehrsminister Johannes Bell.

Bemerkenswerterweise endet Groeners Text mit einer Warnung vor der republikfeindlichen Haltung des Offizierskorps. Ob der General ahnte, wie schnell diese Umstände zum Untergang der Republik und bald darauf in einen neuen Krieg führen sollten?

Wilhelm Groener schreibt: „Die Beurteilung unserer militärischen Gesamtlage muss klar und nüchtern, frei von Wunschgedanken sein. ... Die Stimmung der Masse des Volkes ist gegen einen neuen Krieg. ... Wir verfügen über eine ausreichende erste Ausrüstung an Waffen und Munition für unser kleines Heer und werden damit auch bei grösseren Kämpfen im Osten ausreichen. Was uns vollkommen fehlt, sind Tanks. Ob und wo es möglich sein wird, unsere Kriegsindustrie, ohne die wir einen länger dauernden Feldzug nicht führen können, wieder in Gang zu bringen, ist vom Kriegsminister zu beantworten. ... Da ich verpflichtet bin, für die Führung der Politik möglichst konkrete Unterlagen zu geben, so muss ich eine Frist nennen für die ich unsre gegenwärtige Kriegsrüstung über die wir im Osten verfügen, für ausreichend halte. Dies ist etwas ¼ Jahr. ...“
Groener gibt die Zahl der verfügbaren Soldaten des Reiches mit 389.000 Mann an, wovon 240.000 im Osten stünden. Es nennt dies ein „kleines freiwilliges Heer“ und schreibt: „Dem modernen Massenheere unserer Feinde kann nicht mit dem Kriegsinstrument einer längst vergangenen Zeit begegnet werden, sondern nur durch das Massenaufgebot des ganzen Volkes. Wenn ein solcher Ruf an das Volk den Widerhall in allen deutschen Herzen gefunden hätte, so wäre ich der erste gewesen, der ihn erhoben hätte. Ich habe Wochen und Monate darauf gewartet und gebrannt, ob sich der Gesundungsprozess des deutschen Volkes so gestalten würde, dass die Wiederaufnahme des Kampfes möglich wäre. ...“
Ganz am Ende heißt es: „Welche Schlussfolgerungen der Staatsmann aus meinen Ausführungen zu ziehen hat, ist nicht meines Amtes, zu entscheiden. Ein grosser Teil der Truppen und vor allen Dingen des Offizierskorps wird auch einen aussichtslosen Kampf der Annahme der schmählichen Friedensbedingungen vorziehen. Ich habe daher pflichtmässig darauf hinzuweisen, dass bei Annahme der sogenannten Schmachparagraphen eine grosse Anzahl Offiziere und Freiwilligen-Truppen der Regierung die Dienste aufsagen wird.“

Die beiden anderen Texte beziehen sich auf das V. Armeekorps des kaiserzeitlichen Heeres. Der Korps war 1818 aufgestellt worden, 1919 (spätestens am 20.9.) löste man ihn auf. Text 1 (dat. 27.6.1919) behandelt die Auflösung des Armeekorps und Bildung der Reichswehr-Brigaden 5 und 27. Die genannten Truppenteile spiegeln die chaotischen Monate des Jahres 1919. Erwähnt werden u.a.: Freikorps Görlitz, Schützen-Bataillon Buchholz, Freiwilligen Sturm-Abteilung Schlichtingsheim, Jäger-Bataillon Kirchheim, aber auch die Feldschlächterei-Abteilung 1202. Text 2 (Korpsbefehl Nr. 59”, dat. 28.6.1919) skizziert das strategische Vorgehen des Korps nach der Annahme der Friedensbedingungen an der „Polenfront“, „Tschechenfront“ und im Inneren des Reiches, sowie die Verlegung von Truppenteilen.

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