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ArtikelNr. 7836

 

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Chronik der Niedermeyer, Ortenburg, Manuskript 1860 1904, Ritter & Cie Winterthur Töss

Maschinenschriftliche Abschrift einer Quelle, 4°, Halbleinwandeinband, 522 Seiten, etwas falzig und stockfleckig, sonst gut. Auf dem Einband steht: „Die Chronik der Niedermeyer“, meinem Vater zugeeignet, H.W. Vogt-Vilseck“. Der aus Vilseck stammende Vogt dürfte den Text in den 1920ern mit Schreibmaschine abgeschrieben und seinem Vater geschenkt haben. In welchem Verwandtschaftsverhältnis die Vogts zu den Niedermeyers standen ist unbekannt.

Der Text ist wohl die Abschrift einer 1858 (S.1) bis 1860 (S.430) verfassten und 1903 (S. 2) ergänzten autobiographischen Quelle. Minutiös und mit schriftstellerischem Talent erzählt uns der um 1805 geborene älteste Sohn der protestantischen Niedermeyers aus Ortenburg sein Leben. Sein Vorname bleibt dabei kurioserweise unerwähnt.
SS. 14 bis 406 schildern die Erlebnisse auf Wanderschaft (1824-1829), SS. 407-ca. 450 Ereignisse im heimatlichen Ortenburg (Liebe, Geschäft etc.), SS. 450 bis 522 weitere Wirrungen (Meisterprüfung, Militärausbildung etc.) bis zur Heirat (1835) mit Fritzi und Sesshaftwerdung in Regensburg.

Besonders interessant sind die 120 Seiten umfassenden Schilderungen, welche die Jahre bei der Spinnerei Ritter & Cie in Winterthur-Töss behandeln. Schweizer Eigentümlichkeiten und das Arbeiten in einem fertigenden Großbetrieb an der Schwelle zur Industrialisierung werden vom Niederbayern anschaulich dargestellt.

Auf S. 1 steht: „Meine Abstammung und Lebensgeschichte, niedergeschrieben für meine Kinder und Freunde i.J. 1858 im 52. meines Lebens. Mein Vater: Gottlieb Mathias Niedermeyer, Drechslermeister zu Ortenburg i. Bayern, geboren 25. Novbr. 1776, gestorben 1. Novbr. 1856 war der Sohn des freireichsgräflichen Ortenburg’schen Kanzleiboten ...., meine Mutter, Anna... [1783-1822] war die Tochter der Maria Putzenberger, Färberstochter zu Ortenburg, verehelicht mit dem Besitzer der Feller-Mühle Abraham Lössl daselbst. Ihr rechter Vater aber war der gräfl. Ortenburg’sche Braumeister Georg Hamminger. .....“

Die Eltern heirateten 1803 (und wurden in Steinkirchen bei Ortenburg begraben). Der Protagonist geht im Alter von 13 Jahren bei seinem Vater (der später auch Bürgermeister Ortenburgs war) in die Holzdrechsler-Lehre. 1824, mit 19 Jahren, zieht es ihn auf Wanderschaft – auch da er einer unglücklichen Liebe zur 2 Jahre älteren Friederike (Fritzi) Koller, die im Klosterbrauhaus St. Salvator bei den Eltern lebte, entfliehen will. Während seiner Wanderung sieht der Protagonist Straubing, Regensburg, Hemmau, Nürnberg (dort arbeitet er in der Werkstatt „des Drechslermeisters und Spielwarenverlegers Herrn Mederer neben dem Bloben Hof am Hauptmarkt“), Erlangen (dort bleibt er 2,5 Jahre beim Drechslermeister „und Maschinist“ Kasper, lernt auch das Metalldrehen und besucht die Gewerbeschule, SS. 23-33, im November 1826 reist er weiter), Bamberg, Tambach, Coburg, Hildburghausen, Schleusingen, Suhl, Gotha, Erfurt, Weimar, Merseburg, Leipzig, Dresden (am 6.12.1826), Bunzlau, Jauer, Schweidnitz, Breslau, Neuse [Neisse?], Ziegenhals, Zuckmantl, Troppau, Ölmütz (S.90), Brünn (1.1.1827), Wien (6.1.1827), Pressburg (dort arbeitet er bis zum 6.6.1827 bei Drechslermeister Kosak im Vorort Zukmantel, SS. 109-135), Pest, Waitzen, Keszkemet (wo er einer öffentliche Hinrichtung beiwohnt), Szegedin, Stuhlweissenburg, Gleichenberg, Graz, Cilly, Laibach (18.7., S.177), Triest (SS. 178-190), Venedig (per Schiff, SS. 198-205), Padua (22.7.1827), Ferrara, Bologna, Florenz, Bologna, Mantua, Verona, Brescia, Locarno, St. Gotthard-Pass (SS.239-246), Ufnerloch, Teufelsbrücke, Altdorf, Luzern, Zug, Winterthur-Töss (hier arbeitet er ab 10.8.1827 bei der mechanischen Spinnerei Ritter & Cie., „wo ich die schönsten u. glücklichsten Tage meiner Jugendzeit verlebte“, SS. 261-381, hier eine Episode bzgl. der Enthauptung des Kufnermeisters Mak in Zürich im Sommer 1828 (SS. 315-325), er bleibt 3 Jahre, bis Oktober 1828), Lindau, Kempten, Schwabmünchen, Augsburg, München, Landshut – bis er am 7.11.1829 wieder in Ortenburg ankommt. Es folgt eine längere Schilderung der Liebeshändel mit seiner Jugendliebe Fritzi: „Im Sinnenrausch leidenschaftlicher Liebe starb die Unschuld“ – und am 17.5.1831 wurde unehelich die Tochter geboren. Nach einigen Jahren gelingt es dem Protagonisten, Fritzi zu heiraten und mit ihr eine Existenz in Regensburg aufzubauen.

(c) Ingo Hugger  2020 | livre@cassiodor.com