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> Handgeschriebene Buecher
> Reisen und Expeditionen
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Jahr: |
1925-1927 |
Bemerkung: |
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ArtikelNr. |
6754 |
E-Mail
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20 Monate in Wäschereien in den USA und Reise um die Welt, 3 Tagebücher 1925-1927
Der aus Nürnberg stammende Theodor Bergler schreibt in den 3 Büchern die Erlebnisse zweier Jahre auf. Behandelt werden eine am 8.10.1925 angetrene Reise in die USA, ein ca. 20monatiger Aufenthalt dortselbst (bei und in New York, Miami, Los Angeles, San Francisco) und die ab 30.8.1927 erfolgte Rückreise über Japan und den Suezkanal ins Mittelmeer. Bergler hat eine saubere Handschrift und der Text bleibt immer leicht lesbar. Die Lektüre der USA-Monate ist äusserst fesselnd.
Tagebuch 1, 8.10.1925 bis 23.4.1927. Schlangenledereinband, 8°, ca. 150 von Hand beschriftete Seiten, komplett beschrieben. Album berieben, sonst gut. Ins Tagebuch schreibt er anfangs täglich, 1926 häufig bis Ende April, dann eher sporadisch und längere Zeiträume zusammenfassend.
Am 7.11.1925 ist ein leerer kleiner Umschlag an die Seite geheftet, auf dem steht: „Theodor Bergler, the first ten dollars I earned, 7.11.25“.
Beiliegend ein Telegramm vom 10.10.1925: Der Vater telegraphiert: „Sende Ausreisepapiere, hast vergessen …“ (quer 8°, ein Blatt, Läsuren). Beiliegend eine Papierserviette mit chinesischen Schriftzeichen. Beiliegend ein Folder eines Zugunternehmens, „Car Window Views, Southern Pacific Coast Line“ (kl. 8°, aufklappbar, ca. 10 Seiten). Beiliegend Umschlag von „Atlantic Coast Line“ (eines Zugunternehmens von New York nach Miami) mit Karte des Cabarets „Montmartre“ in Havanna; Ticket „The Pullman Company, Passengers’s check“ für eine Fahrt von New York nach Miami, Rechnung von „Samuel Nathans Inc., theatrical wardrobe trunks, bags, suit cases…“ aus New York, Rechnung vom 25.3.1926 eines unklaren Unternehmens („Joseph J. Wolk, D.D.S.“) in Stamford Connecticut, beiliegend Blatt mit chinesischen Schriftzeichen (handschr. „Havana, Programm des Theaterstückes, das wir sahen“).
Tagebuch 2, 25.4.1927 bis 1.11.1927, gr.8°, mit dünnem Leinwand bezogener Kartoneinband, ca. 100 Seiten, komplett beschrieben. Beiliegend ausgeschnittener Zeitungsartikel zum Doil Air Race („Hawaii Race stunt flight“), der 3 Menschen das Leben kostete.
Tagebuch 3, 2.11.1927 bis 26.11.1927, 8°, Leinwandeinband, ca. 100 Blatt (von denen ca. 20 beschrieben). Beiliegend ein ausgeschnittener kartonstarker Zettel „The House of Prosperty [Soda], New York.
Der erste Eintrag datiert auf den 8.10.1925: „11.25 Uhr, Abschied am Bahnhof [wohl Nürnberg] von meinen lb. Eltern + Fritz. Ankunft Berlin Abends 8 Uhr. Wohnung, Kaiser-Hotel Friedrichstr., Brief v. Anny. Abends „Faun“, Künstlerspiele mit Eugen Leykauf + Frau.“ Am 15.10. schifft sich Theodor Bergler auf der Columbus von Bremerhaven aus gen USA ein, am 25.10. erreicht er New York. Ein Herr Gieseler erwartet ihn, fährt ihn in der Stadt spazieren und geleitet ihn zum Zug nach Poughkeepsie. Dort wohnt er einige Tage bei Familie Müller, reist denn nach Stamford zu Herrn Gieseler, der dort eine Wäscherei betreibt.
Ab dem 4.11. arbeitet er in Stamford in jener Wäscherei. Die Arbeitszeiten sind lang, Wäschemachen von 7 bis 21.00 Uhr mit einer halben Stunden Mittagspause ist keine Seltenheit. Der einsame junge Mann vertreibt sich die Zeit oft mit seinem Arbeitgeber und dessen Familie und dessen Freundeskreis, allesamt ausgewanderte Deutsche. Oft fährt er nach New York, geht ins Kino, ins Hofbräuhaus am Broadway, in Tanzpaläste, besichtigt Sehenswürdigkeiten. Eine Freudnin findet Bergler in der Zeit in Stamforf nicht. Über den 25.12. schreibt er (am 27.12.): „Freitag den ersten Feiertag überkam mich nun das Heimweh, aus unserer Fahrt nach New York wurde nichts, der Tag war trüb + ich lag von Heimweh geplagt in meinem kleinen Zimmer im Bett + eine Träne nach der anderen lief mir bei dem Gedanken an mein Leben zu Hause über die Wangen. …“ Über Silvester in Stamford heißt es: „Um ½ 12 kommen wir schließlich in ein Lokal. Um 12 Uhr ein „happy new year“ + das neue Jahr nimmt seinen Lauf. Trotz der Prohibition ist fast alles betrunken, sogar 2 Damen tragen sie hinaus da sie nicht mehr stehen konnten, so etwas habe ich in Deutschland noch nicht gesehen wo es Alkohol gibt. …“ 17.1.1926: „Sonntag .. war für mich ein besonderer Tag, da Same [?] Geburtstag hatte, gerade 21 Jahre alt war, lud Herr Gieseler mich, 2 Mädchen + einen Freund von Same ein nach New York. Wir fuhren mittags um 1 nach dort, sangen und spielten Uukulele im Wagen, gingen ins Strand am Broadway nachher ins Hofbräu, wo wir aßen + tanzten, die beiden Mädchen waren sehr nett in der Unterhaltung, weniger in Schönheit, besonders die Ältere (Gladys) war sehr nett zu mir + unterhielt sich sehr viel mit mir, gegen 10.00 fuhren wir wieder nach Hause, auf Heimweg war ich mit Gladys ganz hinten gesessen + so kam es, daß ich in Amerika das erste Mädchen küsste + geküsst wurde, nachdem ich sie erst 8 Stunden kenne. Ich hoffe, sie wiedereinmal zu sehen, denn sie war sehr nett zu mir, trotzdem ich nicht recht sprechen kann, hat sie sich mit mir sehr viel unterhalten.“ 14.3.1926: (In New York): „Nach dem Mittagessen, das wir an einem Automaten hatten, gingen wir zurück ins Hotel, lasen die Zeitungen, um um 3.00 Uhr ins Kino zu gehen. ‚La Bohème’. Selten hat mich ein Kino so angegriffen wie dieses, denn mir liefen die Tränen über die Wangen.“
Am 21.8.1926 wechselt Bergler in eine Wäscherei in New-Rochelle, von November bis Dezember arbeitet er dann in einer Wäscherei in New York. 5.1.1927: „Meine Stellung in Stamford habe ich am 31. August 1926 aufgegeben und bin nach New-Rochelle zu Herrn Beckert. Leider hat es mir in der Wäscherei dort nicht gefallen, denn der Waschmeister war so siebengescheit und die ganzen Arbeiter waren Schwarze und Mulatten, noch nie in meinem Leben habe ich so faule Arbeiter gesehen wie da….“ Anfang 1927 fährt Bergler nach Florida. In Miami und später in Hialeah sucht er sich Arbeit in Wäschereien, ist aber unzufrieden.
Am 20. April 1927 schifft er sich nach Havanna / Kuba ein. Sein Ziel ist es, mit dem Dampfer über Panama nach San Francisco zu kommen, wo er Ende Juni ankommt. Dort ist er wieder kurz in Wäschereien tätig, dann erhält er via Bankanweisung einen hohen Geldbetrag von seinem Vater und beschließt, den Rückweg nach Deutschland anzutreten. Zuvor noch zieht es in touristisch durch Kalifornien. 25.6.1927: „Auf dem Heimwege [von Stanford] hielten wir noch einmal und in Front eines Antiquitätengeschäftes fand ich ein Maschinengwehr, das bei der MG-W in Nürnberg gemacht war.“ 26.6.1927: „Abends gingen wir in die California-Halle, wo wir Bier bekamen und dann im oberen Saal einer deutschen Unterhaltung mit Tanz beiwohnten. Gegen 11.00 Uhr kam Graf von Luckner, der zur Zeit mit seinem Segelboot SS. Vaterland auf einer Reise um die Welt ist und eine Ausstellung von deutschen Erzeugnissen mit sich führt.“
Am 30.8. beginnt die lange Heimreise. Über Hawai (wo er surft!) geht es nach Japan. Über China (Tsingtao, Schanghai, Hongkong), die Philippinen, Singapur, Indien, den Sudan, Ägypten fährt er mit dem Dampfer „Coblenz“ der Norddeutschen Lloyd innerhalb von einigen Monaten bis ins Mittelmeer. Am 26.11. enden die Aufzeichnungen mit der Beobachtung einer Eruption des Stromboli im Mittelmeer.
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