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Jahr: |
1946-1947 |
Bemerkung: |
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ArtikelNr. |
6359 |
E-Mail
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Gautinger Rundschau, Allianz, 1946-1947. Privatzeitung, Tanzschule Karl Macho Gauting
Privatzeitung, 4°, kartoniertert Ordner mit ca. 200 eingehefteten einseitig bedruckte maschinenschriftliche Blatt in Typoskript, 37 Ausgaben vom 19.8.1946 zum 14.9.1947. Gelocht, berieben, fleckig, teils Randläsuren, sonst gut. Das Titelblatt der Nummer 36 ist von Hand in Farbe auf Karton gemalt; gezeigt sind 2 Kirchen Gautings und die Münchner Frauenkirche und Alter Peter.
Der Bestand fand sich im Nachlass eines Gautingers, der zum Redaktionsteam der Rundschau gehörte.
Jede Ausgabe der Privatzeitschrift wurde mit Schreibmaschine geschrieben, ca. 12 mal vervielfältigt und in der Tanzschule Carl Macho ausgelegt bzw. an einen ungenannten Personenkreis verteilt (die Auflagenhöhe folgert sich aus einem Text in der Nummer vom 14.6.1947). Seite 1 bringt jeweils eine Datierung, Nummerierung und Inhaltsangabe. Vom 23.1. zum Juni 1947 ist der Titel durch den Zusatz „Inoffizielles Unterhaltungsblatt eines geschloss. Kreises“ erweitert.
Erhalten ist die „Gautinger Rundschau“, die sich ab dem 14. Juni 1947 „Die Allianz“ nennt, vom 19.8.1946 zum 14.9.1947. 19 der 37 Nummern erschienen bis zum 31.12.1946.
Ortsgeschichtlich ist die Quelle von hohem Rang. Gesellschaftliche Belange wie die Nazi-Vergangenheit, der Krieg, die Besatzungspolitik, der Neubeginn der Demokratie oder Gautings DP-Lager sind in keiner Zeile der Hefte erwähnt. Die jungen Tänzer und Tänzerinnen der Jahre 1946 und 1947 legten ihr ganzes Augenmerk auf die bewegte Gegenwart und die Becircung des anderen Geschlechtes. Bei der Lektüre der Texte hat man den Eindruck, als wären sie im tiefsten Frieden entstanden und nicht kurz nach dem Ende von Krieg und Diktatur. Bemerkenswert erscheint, dass die junge Hautevolée des Ortes bereits 1946 wieder luxuriöse Bälle abhalten konnte.
Die Tanzschule des Carl Macho scheint die erste im Raum München gewesen zu sein, die nach Kriegsende ihre Pforten öffnete. Somit sind die Hefte auch zur Geschichte des deutschen Gesellschaftstanzes von Belang.
Als Herausgeber und maßgeblicher Autor war bis Anfang November 1946 Otto Ammon tätig, dazu werden als Autoren Kurt Hunebald, Hans Köhler und andere junge Menschen (zumeist Männer) angegeben. Ab 10.11.1946 übernahm Köhler den Posten des Herausgebers. Interessanterweise lebte Koehler nicht in Gauting, sondern in Eichenau (Kapellenstr. 21, Angaben in Heften 32 und 37). Auch Otto Ammon, der nach langer Abstinenz im August 1947 plötzlich wieder 2 Nummern alleine verantwortete, gab damals als seinen Wohnort München an (Pfistermeisterstr. 1/3).
Behandelt sind zumeist Themen, die sich auf das Tanzen und die häufigen Zusammenkünfte einer Gruppe junger Menschen beziehen, zwischengeschlechtliche Verstrickungen nicht ausgenommen. Die genannten Personen scheinen oft in Gauting gelebt zu haben. Man hielt zahlreiche „Tanzturniere“ ab (die ausgiebig besprochen werden), traf sich zum Schwimmen oder zu Ausflügen. Dazu kommen humorige „Kleinanzeigen“, Rätsel, kulturelle Textchen und ähnliches. Zumeist treffen sich die Menschen im Gautinger Hause des Tanzlehrers Carl Macho. Anfangs lagen die Ausgaben nur „in diesem Hause“ aus, später verteilte man sie wohl auch. Heft 16 bringt als „Sondernummer“ gereimte Portraits vieler Mitglieder der privaten Tanzvereinigung. So erfahrt man, dass Carl Macho privat „Charly“ genannt wurde und seine Gattin Irmgard hieß. Dazu heisst es: „Mit den Plattenspielers Tanzesweisen gibt er den Tänzern Gliederreissen, und freut sich dann und ist entzückt, wenn boys und girls sind wie verrückt.“ Möglicherweise logierte Macho am Münchner Berg: Im Heft vom 25.5.1947 ist eine Einjahresfeier der Gautinger Rundschau angekündigt, welche „in den Sälen am Münchnerberg“ stattfinden solle.
Berichtet wird u.a.: Von einem Ausflug vom Starnberger Bahnhof in München zum Strandbad Starnberg, von einem Radrennen am Münchner Berg in Gauting, von einer „Filmschau der Gautinger Film-Corporation“ im September 1946, von einem großen Fest im Hause Macho, das um 4 Uhr morgens in wüster Küsserei endet, von der rauschenden Nikolausfeier 1946, einem Erholungsaufenthalt am Pilsensee zu Pfingsten 1947; angekündigt wird u.a. ein Frühjahrstanzturnier in der Turnhalle Gauting Anfang Mai 1947 – welches indes nicht stattfand.
Ab Anfang 1947 wird wiederholt vom Neubeginn des Vereins-Tanzwesens in Bayern berichtet. Der „Landesverband bayerischer Tanzlehrer“ wird öfters erwähnt, ebenso finden sich in den Ausgaben nun Ankündigungen für Tanzveranstaltungen in München und auch anderswo in Bayern und auch Turnierberichte (am 27.4.1947 sogar von einem Turnier in Hannover, am 21.6.1947 von einer Tanzlehrerwoche in Immenstadt, jeweils mehrseitig). An Tanzinstituten außer Macho werden genannt Matschek, Maria und Werner Deppe, Valenci.
Im Februar 1947 wird eine kritische Äusserung eines Tanzlehrers Matschek aus Amberg (oder einer Münchner Tageszeitung?) zitiert: „Die Durchführung eines Balles der Tanzschule M. in G. hat in unserer Stadt berechtigten Unwillen erregt. .... Was sollen die Hunderttausende von Flüchtlingen, Vertriebenen und Ausgebombten, denen zumeist nur die Kleidung, die sie auf dem Leibe tragen, verblieben ist, dazu sagen, wenn sie hören, dass zu diesem Fall die Damen in großer Abendtoilette und die Herren im Frack oder doch in schwarzem Anzug erscheinen mussten? Geradezu herausfordernd aber ist es, wenn sie weiter erfahren, dass in einzelnen Fällen eigens für diesen Abend Kleider gefertigt wurden, für die man bis zu acht Meter Stoff benötigte.“ Die Replik der Autoren der Zeitschrift verleugnet jenen luxuriösen Feierstil keineswegs!
Erwähnt sind die Herren: Kurt Hunebald, Hans Köhler, Weckerle, Wolfhart Neubeiser, Otto Ammon, Max Ammon, Anton Hermann, Erwin Winkelmaier (Winkelmeier), Zwicker, Gordon Ludwig, Gerhard Baierle, Milz, Leo Simon, Franzl Rieger, Paul Radtke (Rathke), Carl Macho, Haag, Töpelmann, Hauser, Albert, Gellwitzer, Monat, Hasse, Aribert Schriefer, Reissinger, Münck, Rolf Eberle, Oswin Hass, Edi Reisinger, Sigi Weckerle, Rudolf Sandory (Pseudonym?).
Erwähnt sind die Damen: Erika Leimeister, Maier, Reli Mitgutsch, Ruth Ziegelmeier (auch Zieglmaier genannt), Spiegel, Gille Deutsch, Inge Berne, Irmgard Geishauser, Hilde Gast, Hilbinger, Mayer, Jackel (auch Jäckel), Haag, Schilling, Kressel, Hahn, Therese Fahn, Wendl, Thessa Anthofer, Mix Peters, Irmgard Lobzenski, Trudi Mayer, Annemie Strong, Marianne Steininger.
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