Vivarium
> Deutschland 1933-1945
> SS
|
Jahr: |
1939-1944 |
Bemerkung: |
|
ArtikelNr. |
4243 |
E-Mail
|
Allgemeine SS. Feldpost, Gedichte und Photos 1939-1942. Frankreich, Jugoslawien, Leningrad. Nachrichten-Abteilung 7
Konvolut von ca. 230 Feldpostbriefen, ca. 200 handschriftlichen Gedichten und ca. 30 Photos aus einem Nachlass. Die Stücke fanden sich in der Hinterlassenschaft der Adressatin. Verschickt hatte die Schreiben der Soldat XY S. an seine Freundin, Verlobte und Ex-Verlobte Gudrun.
Dazu kommen ca. 200 Gedichte, die in einem handschriftlichen Buche und in Briefen erhalten sind und die zwischen 1936 und 1942 entstanden; dazu 30 Photos, die in den Umschlägen steckten.
Zustand: Berieben, sonst gut. Die Schreiben zu ca. 80% ein- und mehrseitige Briefe (4°, manchmal Feldpostvordrucke), sonst Kartenbriefe und Postkarten. Die Umschläge sind nur selten erhalten.
Postalisch bemerkenswert ist manches Briefpapier, das XY im Osten 1941 benutzt (z.B. fremdsprachige Vordrucke, große Papierbögen, einmal gar die Rückseite eines kyrillischen Briefes). Dem Brief vom 25.6.1942 liegt eine in Seidenpapier gelegte, getrocknete Rose bei.
XY S. ist Jurist, Mitglied eines Sturmes der Allgemeinen SS und überzeugter Nationalsozialist. Er bezeichnet seine „Weltanschauung“ im Brief vom 19.5.1942 gar als „Kernstück meines Lebens“. 1939 hat er sein Studium der Jurisprudenz in Tübingen beendet und arbeitet wohl als Gerichtsrefendar. Er plant, später im Auswärtigen Amt als Diplomat tätig zu werden.
XYs Briefe sind großteils von hohem militärgeschichtlichem Quellenwert, da er ein guter Beobachter ist und ebenso gut formulieren kann. Er kämpft im dokumentierten Zeitraum im Westen, auf dem Balkan und in Rußland vor Leningrad.
Da oftmals NSGedankengut thematisiert wird und der Autor später als Richter der westdeutschen Führungselite angehören sollte, sind Briefe und Lyrik zudem von hohem kulturgeschichtlichem Quellenwert. Xys Aufstieg in der BRD erklärt auch die strikte Geheimhaltung, die der Historiker hier walten läßt: Der Name des Mannes kann nicht genannt werden.
Weshalb S. als Mitglied der Allgemeinen SS im Februar 1940 in die Wehrmacht und nicht die Waffen-SS eintritt, bleibt rätselhaft.
S. wird Funker und dient bis 1942 in der Nachrichtenabteilung 7 (richtig: „Infanterie-Divisions-Nachrichten-Abteilung 7“), sein Befehlshaber ab Mai 1941 ist ein General und Ritterkreuzträger Georg Lindemann (letzterer befehligte anfangs die 36. Infanterie-Division, ab Oktober 1940 das L. Armeekorps). XYs Feldpostummern: 1940 20781, O 9948, 1941-1942 44775.
1940 ist er anfangs in Westdeutschland stationiert, ab Mai kämpft er in Belgien und Frankreich. Bis Anfang November 1940 bleibt er als Besatzungssoldat in Frankreich, wobei er teilweise als Wachpersonal für marokkanische Kriegsgefangene, welche französische Soldatenfriedhöfe in oder bei Dijon pflegen, eingesetzt wird. Die Hoffnung, als Auslandsstudent einige Monate vom Militärdienst freigestellt zu werden, zerschlägt sich im Sommer 1940. Anfang November verlegt XY mit seiner Truppe (nun der Nachrichten-Ersatz-Abteilung 14) nach Mittweida in Sachsen. Die nächsten Monate verbringen er und seine Kameraden dort zumeist mit Infanterie-Ausbildung und stupidem Schliff. Die Truppe ist hier in einer Schule untergebracht. Im Februar 1941 wird er zum Oberfunker und im März zum Gefreiten befördert. Die Monate April und Mai erlebt XY auf dem Balkan, anschließend ist er für ca. einen Monat in der Mark Brandenburg (nahe Cottbus) untergebracht.
Ab dem 26.6. berichtet er von der Ostfront, er kämpft mit der Heeresgruppe Nord. Am 5.7. verlässt er mit seiner Truppe litauisches Gebiet und kommt nach Weißrußland, am 5.9. liegt er vor Leningrad. Sein Trupp ist in den folgenden Monaten in wechselnden Abschnitten des Ringes um Leningrad eingesetzt (sicher bis November 1942). Ab November 1942 ist er Teilnehmer eines KOB-Lehrgangs, im März 1943 ist er Unteroffizier und Teilnehmer an einem Lehrgangs für „Panzer F. Inspektion“ in Ohrdruf. Im Juli 1944 liegt er, nunmehr Leutnant, in einem Lazarett in Lauban / Schlesien.
Seine Einsatztätigkeit bis 1942 wechselt. Zumeist ist er mit einem kleinen Trupp zur Feuerleitätigkeit oder bei der schweren Artillerie abgestellt, manchmal sitzt er in einer großen Funkzentrale. Später scheint er als Offizer zur Infanterie gekommen zu sein.
S. ist schriftstellerisch aktiv. Er schreibt regelmäßig Briefe an seine Mutter, die Verlobte und sicherlich an zahlreiche andere Deutsche, zudem führt er ein Kriegstagebuch. Immer wieder spricht er davon, daß Teile des Tagebuches veröffentlicht werden sollen. Tatsächlich gelingt es seinem in Berlin lebenden Vater, einen Text des Sohnes über den Winter 1941/1942 als Buch zu publizieren. „Wie wir Rußland erlebten“ erschien wohl als Privatdruck im Apri 1942 und enthielt 15 Fotos.
Gudrun und XY lernen sich wohl im Frühjahr 1939 kennen und scheinen Ende des Jahres zueinander gefunden zu haben. Im Oktober 1940 verloben Sie sich.
XY ist Jurist, er scheint in Tübingen studiert zu haben und arbeitet 1939 wohl als Gerichtsreferendar. Eine Auslandsreise führt ihn im Frühjahr des Jahres nach der Schweiz und nach Frankreich, mit einer internationalen Studentengruppe verbringt er einige Wochen bis Monate in Genf.
Gudrun ist eine Tochter aus besserem Münchener Hause, sie arbeitet 1940-1942 teils als Apothekerin.
Die Beziehung trennt sich 1942 aus politischen Gründen: Gudrun kann XYs ausgeprägte NS-Gesinnung und antichristliche Haltung offensichtlich nicht länger teilen. Im Brief vom 19.5.1942 äussern sich erstmals die internen Probleme des Paares. Im Brief vom 11.6.1942 stellt er seine Prinzipien ausführlich dar und liefert einen schönen Einblick in die gewohnt krause NS-Logik („Die Kultur wird von Volk und Rasse bestimmt“). Im August 1942 erhält XY Urlaub und reist nach Deutschland, es kommt zum klärenden Gespräch zwischen den beiden und zur Auflösung der Verlobung.
Interessant sind Briefe und Gedichte wie oben erwähnt auch ob ihres politisch-ideologischen Inhaltes, da es S. in der BRD zum bayerischen Richter bringen sollte. Dem Leser wird hier beispielhaft das gedanklich-seelische Fundament eines Großteils der westdeutschen Führungselite der 1950er und 1960er vor Augen geführt: S. empfindet starke idealistische Gefühle für Führer, NS-Gedankengut und den politischen Orden der SS. Dabei sind ihm jene versteckten mafiösen Mauscheleien, die einen Bestandteil des Nationalsozialismus bildeten, fremd. Daß Hitler und die Führungselite des Reiches die Zeit ihrer Herrschaft dazu nutzten, sich persönlich zu bereichern, ist S. ebenso unbekannt wie das Ziel, es Ihnen gleich zu tun. Auch scheint er den Antisemitismus nicht zu stark an seine Fahnen geheftet zu haben, denn es finden sich in Lyrik und Briefüberlieferung bis auf eine Ausnahme keine antijüdischen Auslassungen.
So erkennt man, daß in der BRD gemässigtes NS-Gedankengut mit US-amerikanischer Demokratie- und Wirtschaftsauffassung eine Symbiose eingehen konnte, die zur staatstragenden Macht mindestens bis 1970 wurde.
S. sollte sich später erneut in rechten Gruppierungen einen Namen machen (als Mitglied von "Deutsches Kulturwerk Europäischen Geistes" (DKEG) und "Münchner Bürgerverein (MBV) e.V."). Diese politische Aktivität innerhalb der Demokratie der BRD spricht ebenso für Kontingenz und Kraft wie für die Naivität von S.s Idealismus.
Die Briefe:
1939: 9 Schreiben (7 Postkarten, 2 Briefe). XY schreibt aus München, Frankreich und der Schweiz.
28.4.1939 aus Genf: „... Nach einheitlicher Schilderung ist die Genfer Gesellschaft sehr oder ganz unzugänglich, besonders momentan. Alle mühsam angeknüpften Beziehungen brachen im September restlos ab, ebenso ein 2. Mal bei der Eingiederung der Tschechei. Augenblicklich hat die Schweiz die größte Angst, von uns annektiert zu werden, pocht sehr auf ihre militärische Bereitschaft und ihre ‘heroische Geschichte’. Die Probleme werden uns stets vorgehalten: Pressefreiheit, Juden u. Eingliederung gegen völkische Prinzipien. Die Presse hier bringt teilweise die entzückendsten Märchen über unsere Pläne und Vorbereitungen in aller Welt. Jedoch meine Pensionsfamilie steht uns sehr loyal gegenüber. .... Übrigens, die Geburtstagsfeier des Führers im Deutschen Heim war recht ordentlich, von uns Studenten getragen, anschließend wurde die Ortsgruppe einem neuen Leiter übergeben. Danach saß ich in ganz kleinem Kreis mit Generalkonsul Dr. Kraul [?] im Café Landolt [?].“
1940: Ca. 55 Schreiben (davon ca. 10 Postkarten). Ca. 20 Schreiben berichten von Krieg und Besatzungszeit. Die zwischen Winter 1940 und Frühjahr 1941 verfassten Schreiben sind primär privater Natur und nur ob ihrer Textstellen zum Ort Mittweida von historischem Belang.
9.4.1940: „...Jetzt habe ich mal wieder Hoffnung, daß auch wir uns in Bälde wieder in Marsch setzen u. einen frischfröhlichen Krieg mitmachen dürfen und - daß er dann um so eher zu Ende ist. Viele sind hier schon seit 7 Monaten u. mit dieser Zeit will ich für ich vorsichtshaber auch mal rechnen. ...“
20.5.1940, Belgien: „... In 1 oder 2 Tagen werde ich schon in France sein. ...Unsere Luftwaffe dominiert eindeutig, bisher warf hier nur einer Bomben und ... ein anderer im Tiefflug mit MG, beidemale nachts, c’etait tout. ...“
29.5.1940: „... Wir sind dem eingekesselten Feind hart auf den Fersen geblieben. Eben liegen wir in einem sorgfältig ausgebauten Verteidigungssystem, das die Engländer fluchtartig verlassen mußten. Wir erbeuteten eine Unmenge von Munition, Gasbekleidung, Konserven, Bekleidungsstücke, Autos usf. Gestern Nachmittag beerdigten wir mit militärischen Ehren einen englischen Kaptain, der schon 5 Tage tot war. In den Häusern haben die Engländer übel gehaust. Seit der Kapitulation kehren die Flüchtlinge in Mengen zurück. Einigen Zunder hat es natürlich auch schon gegeben, unsere Komp. verlor einige gräßlich zugerichtete Tote, der Chef verlor ein Auge. ....“
16.6.1940, Maginotlinie: „Eben sitze ich im sinkenden Abendlicht vor einem Bunker, von Zeit zu Zeit schlagen krachend die Granaten ein, lassen die Abschüsse unserer Geschütze den Boden erzittern oder bellt MG Feuer über die Böschung. Ich bin glücklich, in vorderster Linie sein zu dürfen, habe mit Sturmpionieren den Rheinübergang erzwungen, feindl. Bunker niedergekämpft u. Baumnester abgeschossen. Hier ist es ganz echt u. kann ich einzelne Phasen des Inf.Kampfes unmittelbar miterleben. ... Schade ist es, daß ich nicht mit nach Paris kam, aber vielleicht ist es so besser, ich wäre sonst nicht in die Kampflinie abgestellt worden, wo augenblicklich eine große Verantwortung auf mir liegt. Von mir aus kann es jedenfalls so weitergehen! ...“
25.6.1940 [Vogesen]: „... Unterdessen hast du ja wohl die nötige Aufklärung durch Br. [Brief] vom 16. (Rheinübergang, vor dem Bunker geschrieben) erhalten, hoffentl. kam er gut an, viell. bestätigst du mir noch seinen Erhalt. ... Schrieb ich schon, daß wir drei für den Rheinübergang schriftl. Anerkennung und Dank für vorbildl. Unterstützung erhielten? Wir sollen deshalb in der Kriegschronik der Abteilung verewigt werden u. mein Truppführer ist zum E.K. vorgeschlagen worden. ...“
3.7.1940: „... Mein Truppführer trägt nun schon das E.K.II für uns 2 Kameraden vom Bunkereinsatz mit! Ich schrieb darüber langen Bericht für die Kriegschronik. ...“
21.7.1940: „... Heute will ich dir nun das eine Bildchen miteinlegen. Neben mir auf dem Schlauchboot sitzt mit Stahlhelm ein Truppkamerad, dahinter 2 Pioniere, unter meinem Bein liegt die grad angekommene Post. Gleich links neben dem Boot ist unser Bunker zu sehen, der Fährbetrieb [?] noch weiter links stromaufwärts. Auf dem anderen Rheinufer sieht man den zerschossenen franz. Bunker, neben dem ich auch einmal im Gefecht mit den Baumschützen lag. ...“
14.9.1940: „... Eben sitze ich in der Villa des Dichters Estaunié [Édouard Estaunié, 1862-1942], Mitglied der Académie Francaise, mit einer wundervollen Bibliothek, für deren Genuß man mir leider keine Zeit läßt ... Aber für mich ist der Krieg wohl aus. Deshalb habe ich mich auch auf eine Aufforderung der Auslandsorganisation hin zur Verfügung gestellt, als Wehrmachtsangehöriger nochmal mit Studenten nach Rom zu gehen, falls die Verhandlungen mit dem Oberkommando d.H. zu einem positiven Ergebnis gelangen ....“
11.10.1940 [Berlin]: „... Da die Verhandlungen mit dem OKH bisher scheiterten, geht die Angelegenheit kommende Woche über den Staatssekretär an Ribbentrop u. von ihm persönlich an Keitel. Man verspricht sich davon den gewünschten Erfolg. Bei meiner Rückkehr nach Dijon habe ich mit sofortiger teler. Einberufung ins Ausreiselager nach Berlin zu rechnen. Weitere Unterlagen wurden mir als erstem eben schon ausgehändigt. Ein Monatszuschuss von 100.- wurde mir von Epp bereits versprochen, eventuell mehr. Die Beurlaubung vom Militärdienst soll vom 25.10. bis 31.3. dauern. Man legt Wert darauf, daß ich nach einigen Wochen in Rom mich dann am Aufbau einer Gruppe in Florenz beteilige. ..“
30.10.1940 [Dijon]: „... will ich Dir ... etwas von meiner neuen Tätigkeit erzählen ...: Morgens um 6h erhebe ich meinen müden Leib u. werde im Wagen etwa 8km nach außerhalb zum großen Gefagenenlager gefahren. Dort suche ich mir 34 Marokkaner zusammen u. ziehe mit ihnen allein durch die Dunkelheit noch eine gute Stunde über Land, durch Wiesen und Felder bis zu einem großen Friedhof, wo meine Gefangenen einen ziemlichen Geländestreifen planieren sollen. Den ganzen Tag stehe ich so, mit einer großen Parabellum-Pistole geschmückt, auf dem Feld, friere Stein und Bein ... und habe die Pflicht auf die völlig unübersichtlich verteiten Leute zu wachen. .... Gottseidank ist ein schwarzer Sergeant dabei, der seinen Stolz darein setzt, die Leute sauber antreten u. ordentlich marschieren zu lassen. ... Zu mir sind sie sehr anständig, grüßen militärisch, titulieren mich ‘Chef’ u. machen überhaupt einen ziemlich beruhigenden Eindruck, entgegen gewissen Schauergeschichten, die man von ihnen gelegentlich erzählt. ... Der Zustand des großen Friedhofes, an dem wir arbeiten, wird dich auch interessieren. Da ist z.B. ein Geländestück mit Erdhaufen und Rasen total verwildert, in dem 1100 französ. Weltkriegsgefallene ruhen u. an der Außenmauer lehnen bemoost u. umgefallen die beschrifteten Kreuze ....“
6.11.1940: „... Freitag werde ich endgültig abgelöst u. dann muß ich täglich Autos reinigen bis zum Appel am Montag. ....“
1941: Ca. 100 Schreiben wovon ca. 20 Karten. Ca. 20x Mittweida bis ca. 25.3., ca. 18x Balkanfeldzug bis ca. 25.5., 8x Sachsen bis 18.6., 64x Ostfront ab ca. 26.6.
2.1.1941: „.... Die Verse, die ich Dir noch nachträglich schickte, erheben nicht den Anspruch, ein ‘schönes Gedicht’ sein zu wollen ...... Du schreibst über event. Veröffentlichung mancher Sachen. ... ist für mich alles, was ich bisher schrieb, nur Vor- und Entwicklungsstufe. .... Anders, wenn ein Interessent wie Dr. Lehnert im Saargebiet, sich bemüht, für das eine oder das andere einen Verleger zu finden, die kleinen Zeitungsveröffentlichungen haben mich natürlich gefreut, ebenso wie der letzte Kameradschaftsbrief oder die Würdigung meiner SS-Lieder seiner Zeit im Sturm. ...“
9.2.1941: „... Gestern hatten wir wieder einen KdF-Abend nur für uns Soldaten u. es war das erste Mal auch nach meinem Geschmack. Das Programm liegt bei. ...“ [hier ist der Umschlag mit erhalten, innenliegend Brief, handschr. Gedicht und gedrucktes Programm des KdF-Abends].
8.4.1941: „... Endlich hat der Einsatz begonnen und unsere Erfolge sind jetzt schon fabelhafte. Ich kann mir gut denken, wie ihr daheim jetzt wieder voll Spannung am Radio sitzt. ...“
Ca. 12.4.1941: „... Da ich endlich der Feindfront gegenüber stehe, d.h. sie rings um mich habe, bin ich zufrieden u. kann rückblickend einiges über die nicht immer angenehmen Anstrengungen sagen. Vor allem die Kimaschwankungen hatten es in sich. Zuerst die 140 Stunden Bahnfahrt, die ich meist auf einer offenen Güterlore im offenen Fahrzeug verbrachte, waren oft eine Tortur, zumal große Kälte im Protektorat, in Ungarn u. Nordrumänien mich in Eis erstarren ließen u. nachts den Schlaf unmöglich machten. Erst südlich der Karpathen kam große Hitze u. zugleich der quälende Sandstaub. In Bulgarien wurden wir förmlich gebraten - mir war es angenehm - bis mich der erste Einsatz an der Grenze auf ein Hochplateau 960m führte, wo wir zuletzt durch eine Art Wintereinbruch elend froren, zumal ich von Samstag früh bis Donnerstag früh nur 15 Stunden schlafen konnte u. ausschließend im offenen Fahrzeug 56 Stunden auf einem ganz engen Sitz eingeschneit im Hochgebirge auf schwieriger Paßfahrt zubrachte. ... Im Übrigen das alte Lied aus Frankreich: Beute, tote Tierkadaver, frische Gräber, Ruinen u. eine völlig unter dem zermürbenden Eindruck unserer Stukkaangriffe [sic] stehende Bevölkerung. ... Ich bereue immer wieder, keinen [Photo-] Apparat hier bei mir zu haben. .... An unserem Verlobugsjubiläum (8.4.) hatte ich intensiv zu tun u. erhielt aus eigener erster Hand den Einblick in die weitläufigen Aktionen noch vor den Generalen, hatte da meine bisher ‘höchste’ Stellung erklommen, bin aber lieber wieder wie am Oberrhein bei einer kleinen Einheit. ...“
21.4.1941: „.... Vom Pervitin nahm ich erst 3 Tabl., vor Wochen mal, dafür muß ich, leider, mehr als gewöhnlich rauchen. ...“
26.4.1941: „.... Ist es nicht eigenartig, Gudrun, daß ich wenige Tage nach Dir auch begann, den ‘Mythus’ zu lesen? ...“
4.5.1941 (Mazedonien, wohl Üsküb): „... Zu deinem Herkommen, an das ich auch schon dachte. Es ist ganz ausgeschlossen, daß ich frei bekomme, es sind verschiedene Frauen hier u. ich sehe, wie es denen geht. Die Verheirateten haben sich wenigstens nachts, aber junge Brautleute .... Heini hat seine Frau hier, wenn man die zwei Verliebten sieht, kommt man sich schrecklich verlassen vor ....“
4.5.1941 (sic, sonderbarerweise 2 Briefe mit gleichem Datum): „... Du hat also jetzt den Mythus genauso weit wie ich durchgelesen, bis zum Wesen germanischer Kunst. Ich bin sehr froh darüber, daß du dich mit diesem Buch beschäftigt hast, deinen Bemerkungen dazu kann ich mich ganz anschließen. ... Vor 1 Std hörte ich den großen Rechenschaftsbericht des Führers. Unsere Verluste sind tatsächlich unerhört gering und der ganze Erfolg überhaupt in dieser Form phantastisch. ... Am 1. Mai starteten wir im Personenwagen zu einer Sonderaktion ins Gebirge, bei herrlichem Sonnenschein, mit Geländefahrt zu versteckten Bergdörfern, deren Bewohner uns wie die ersten Menschen bewunderten u. die Hand küßten. ... die Zerrissenheit der Bergtäler ließ gut den ewigen Kleinkrieg zwischen Bulgaren, Serben, Türken u. Griechen bis zum Weltkrieg verstehen, erinnerte aber auch an Karl May’s abenteuerliche Romane. ...“
10.4.1941: „... Ich selbst bin vor etwa 8 Tagen geradezu aus einem Dornröschenschlaf aufgewacht u. habe um mich bei so erschreckend vielen Kameraden durch erstmaliges Herbeiführen politischer Gespräche eine große Verbitterung, Verbohrtheit u. Negativismus gefunden. Dies im Vertrauen, du wirst damit nicht andere Gemüter beschweren!! ... Der übertünchte politische Idealismus weicht einem überzeugten Egoismus. Wir führten endlose Debatten, die mir abschließend immer die Oberhand gaben, aber ich mußte in meinem Urteil oft sehr scharf und persönlich werden. .... Ich bin seit gestern einem Sonderkommando zugeteilt, 5 Mann, ein Wachtmeister - u. habe ab morgen mit dem Kompaniebetrieb nichts mehr zu tun. Wir haben einen großen, nagelneuen, heuer aus Deutschland gelieferten Telefunken-Großsender zu übernehmen u. große Bestandsaufnahme zu machen, sehr viele geheimnisvolle Mammutkisten mit Ersatzmaterial zu öffnen u. festzustellen. Die beiden Türme sind 15 m hoch u. ruhen auf einer winzigen Keramikkugel, die 20to Druck aushält. ... Es ist schon etwas durchgesickert von den noch besseren Waffen im nächsten Jahr, die uns der Führer versprochen hat. Eine verblüffend einfache Lösung, um mit Geschützen um die Ecke zu schießen. Bekantlich unterscheidet man bei der Geschoßbahn zwischen einer aufsteigenden u. absteigenden Art. Im nächsten Jahr werden die Kanonen einfach auf die Seite gelegt ----! ...“
22.6.1941: „... Ja Liebste, nun ist der ersehnte Einsatz da, nicht sehr unerwartet in der jetzigen Form aber doch unter völlig neuartigen Umständen. ...“
4.7.1941 (wird hier von Hinrichtungen ob des Kommissarbefehls vom 6.6. erzählt?) : „... Wir hatten in der letzten Stellung ganz interessante Stoßtruppunternehmen, Gefangene gemacht, Schießerei mit roten Funktionären in den Kornfeldern so auf 10 Schritt usw. ...“
9.7.1941: „... Rechts von mir grollt das Artilleriefeuer der Front, gleich vor mir bellt ein M.G., was es zu bedeuten hat, wissen wir noch nicht. ...Gestern die Fahrt, unserer Infanterie voran, fürte über Sandberge wie in der Wüste.... Zuletzt brach an unserem Vorderrad die Aufhängevorrichtung, bei höherem Tempo hätten wir wohl den Hals gebrochen. Jetzt reparieren wir hier, so gut es geht. ...“
21.7.1941: „... Eine verflixt lange Nacht ist mal wieder zu Ende gegangen u. wenn ich mittags vom Dienst abgelöst werde, bricht die Komp. auf u. es geht weiter vor. Dein Pervitin muß mich wach halten. ... Eben macht sich ein Kradmelder fertig, deshalb schließe ich schon, damit er dies gleich mitnimmt. ..“
24.7.1941 (vor der Stalinlinie?): „... Nach dem Schreiben meines gestrigen Briefes an Dich hatten wir Nachtalarm u. zogen handgranatenbespickt aus, die angeblich durchgebrochene russ. Kavallerie abzufangen. Tatsächlich schossen Kameraden von der Nachbarkomp. einen russ. Oberleutnant mit seinem Spähtrupp ab, der sich bis auf 20m an die Fernsprechermittlung dort rangemacht hatte. Geknallt wurde aber noch die ganze Nacht. Gestern trieben einige von uns Russen aus den Wäldern, die sich bis zur letzten Patrone verteidigten, von 10 ergaben sich nur 2. ... Eben lebt das Artl.-Feuer wieder auf u. ich denke, daß sich heute auch die Reste der eingeschlossenen Russen ergeben ....“
30.7.1941: „... Unsere Stoßtrupps sind besonders fein, wenn wir mit unserem kleinen Geländewagen loshauen, Windschutzscheibe runtergeklappt u. M.G. drübergelgt - so wie gestern Abend zur Sicherung des neuen Gefechtsstandes. Wir mußten nämlich wechseln, weil uns die Russen zu hartnäckig ihre Eier aufs Dach legten. ...“
8.8.1941: „... Vor mir, gewissermassen vor meinen Augen, findet eine Schlacht statt, ganz schwere Abschüsse u. Detonationen unserer Mörser machen den Boden erzittern, von vorn erklingt eine wunderbare Mischung von M.G., Gewehr, Pak u. Flak, eben kommen 3 russische Flieger im Tiefangriff mit M.G. und Bombenabwurf, da stürzt eins, dort ein anderes durch Flaktreffer brennend ab. Im Reihenabwurf fallen schwere Bomben, gewaltige Rauchsäulen hängen am Himmel, Flammenschein u.s.f ... Ich selbst, zwar dem unmittelbaren Kampfe fern, fühle mich irgendwie beteiligt, da meine Arbeit eine fast zentral vermittelnde ist u. einen guten Überblick über alles gibt. ...“
14.8.1941: „... Unterwegs sahen wir 2x Panzerschlachtfelder, auf engstem Raum etwa 50 u. dann 20 russ. Panzer zerborsten u. ausgebrannt, ein mächtiges Bild. Jetzt liege ich fast in Höhe von Stockholm, heiß und lang umkämpfte Stellungen vor uns u. warten auf Einsatzbefehl. ...“
7.9.1941: „... Nach dem wochenlangem Leben in riesigen Wäldern müssen wir unsere Menschen... [unles.] wieder verlieren, denn jetzt sind wir im dicht besiedelten Gebiet, wo täglich beinah 20-30 Partisanen erschossen werden müssen. Flaches, waldloses Land mit ... und Industrie liegt vor uns. ..“
12.9.1941: „... es folgten 4 Großkampftage nie erlebten Ausmaßes in vorderster Stellung. In dem jetzt etwas freier werdenden Gelände kann man den Masseneinsatz der Bomber u. Stukkas beobachten u. ihre Wirkung, selbst steht man in dem höllischen Spiel. .... Trotzdem ist der Widerstand ein unglaublich zäher u. erfordert letzten Einsatz aller Mittel. Alle Einzelheiten aus diesen Kampftagen wirst du später mal bei mir lesen können. .....“
21.9.1941: „.. Ich liege heut im Wagen, werde alle paar Stunden telephon. geweckt u. wende mich durch den Äther an alle, die Granaten für die Roten bereithalten. Gleich gehts los. Die Bomben rumpsen übrigens ekelhaft eben, die ganze Kiste wackelt. ....“
23.9.1941: „... Neben uns ist ein Stukka notgelandet, der während des Sturzfluges auf Kronstadt außer in Tragflächen und Schwanz einen Flaktreffer in den 3teiligen Propeller erhielt, sodaß nur drei halbmeterlange Stummel davon übrigblieben. Mit diesem Propellerfragment zog die Maschine sich wieder hoch u. kam bis hier zum Einsatzhafen zurück, es scheint wie ein Märchen, wenn man es gesehen hat. ...“
28.9.1941: „... Es war der letzte Einsatz bei meiner neuen interessanten Waffe, die das Gebiet hier heute wieder verläßt, u. ich hatte wichtigste Aufgaben zu erfüllen und zum Schluß noch einen richtigen Feuerzauber erlebt, als uns im Zuge eines Flankenangriffs ein 52to Panzer mit 10,5 cm Granaten so zudeckte, daß die Splitter nur so über unsere Lehmkuhle sausten. Es ging aber alles gut ab u. nun dürfte es sicher aus sein mit diesen schönen Einsätzen, die auch uns F. [Funker] befriedigen können. ...“
20.10.1941: „... Denk Dir, ich bin schon wieder gewandert. Gestern ging es zu einer anderen Art.-Einheit. .... Wir sind in einem Dorf, das sich bunt in die Falten einer Höhe hineinwürfelt, voll finnischer + estnischer Flüchtlinge ist. Diese Höhe mit dem reizvollen, aber gefährlichen Blick auf Petersburg u. finn. Meerbusen ist kilometerweit von einem gewaltigen Panzerabstich umgeben u. durchzogen von einem Gewirr tiefster Splitter- + Schützengräben nach sinnvollem System in steinharter, steiniger Erde. Man muß nur staunen über Fleiß und Zähigkeit der Russen, die Erde zu durchwühlen. Im ganzen russischen Raum, den wir bisher durchquerten, kann man fast von Graben zu Graben, von Bunker zu Schützenloch sehen. Schon bedienen wir uns der Gefangenenkolonnen zum Bau von Unterständen. ...“
4.10.1941: „... Der Höhenzug, in dessen Schatten wir liegen, ist unerhört befestigt gewesen; ... Dort steht auch ein wuchtiges eingebautes Marinegeschütz (ein Vickers-Armstrong für Rußl.), dessen umfangreiche unterirdischen Munitionsbestände wir hinter den fliehenden Russen her aus ihrem eigenen Rohr verschossen haben. Oben hat man durch optisches Gerät einen fabelhaften Weitblick, sieht über der Meerenge die große Kirche von Kronstadt aufragen. Die riesigen Kasernen im Südteil von Petersburg laßen sich gut mit bloßem Aug erkennen. Am Hafen brennen schon tagelang große Öllager, deren schwaze Wolken den Himmel verfinstern. ....“
10.10.1941: „... Sie [eine gemeinsame Freundin] schrieb ganz herrlich, was ich Dir nicht vorenthalten will: Weihnachten fällt heuer aus. Josef ist bei euch in Rußland, Maria macht ihr Pflichtjahr, Christkind ist wegen Fliegeralarm evakuiert, Weisen aus dem Morgenland erhalten keine Einreiseerlaubnis, der Stern muß verdunkelt werden, die Krippe hat die NSV, Heu u. Stroh sind vom Heer beschlagnahmt, die Flak steht im Stall und wegen dem Esel allein lohnt es sich nicht. Der Weihnachtsmann. ...“
17.10.1941: „.. Heute stelle ich Dir meinen Wagen und seine engere Gemeinschaft vor. Obendrauf der Sack mit Stroh für das Zelt. Hinter der offenen Türe ist mein Platz, der technisch wichtigste vom ganzen Trupp, von dem aus ich auch während der Fahrt den Dienst abwickle. Fritz, Abiturient mit Wünschen für die Forstlaufbahn, sitzt vorn neben dem Kraftfahrer Erich, Bankbeamter, unsere ‘Papa’ (40 Jahre), der gestern die Krisis einer Lungenentzündung überstanden hat. Neben mir sitzt Roland, Sudeten-SS-Mann, im elterlichen Feinkostgeschäft tätig. Die Straße ist die vielgenannte Rollbahn nach Petersburg. Demnächst stelle ich Dir auch die Belegschaft unserer Truppführerfahrzeuge vor. Innen ist unser Wagen raffiniert u. komfortabel eingerichtet, zum Neid jedes Landsers, der reinschaut. ...“
27./28.10.1941: „... Wenn du mal Bilder siehst, auf denen Generäle von einer Höhe aus die Kampfhandlungen gegen Leningrad beobachten, so ist das immer die einzige Erhebung, an deren Fuß mein Blockhaus steht. ... Von meinem SS-Sturm sind neben verschiedenen Verwundeten schon 6 Kameraden gefallen, es steht ja auch fast alles unmittelbar an der Front. ...“
5.11.1941: „... Eine Führerpersönlichkeit wie Ad. Hitl. [Adolf Hitler] ist in 4 Jahren Krieg nur Gefreiter geblieben. Mein Gaustudentenführer Ausland, Dr. Gutmann (siehe Tübingen und Genf) ist jetzt als Gefreiter im Osten gefallen. .....“
21.11.1941: „... Ich habe hier Gelegenheit gehabt, verschiedene Abbildungen aus der Großen Deutschen Kunstausstellung sehen zu können. Der Eindruck festigt sich mehr und mehr, daß wir auf dem Gebiete der Plastik und der Architektur bisher das Reifste leisten. Bei der Malerei hat man auch angesichts der Kritik noch oft das Gefühl, daß wir nicht recht wissen, was wir wollen. Der Zug ins Große ... fehlt noch oft. Mich wundert immer, daß ich in dieser Zeit noch von keinem Drama ganz großen Stils gehört habe ... Du meinst, auch nach dem Krieg werden wir noch lange nicht auf Rosen gebettet sein .. Nun will ich Dir von hier erzählen, Dudulein: Leider kamen auch wieder traurige Nachrichten. Schon seit Wochen hatte ich das Gefühl, daß mein SS-Kamerad Peter, über den ich Dir mal ein paar idealisierende Verse schrieb, nicht mehr lebt oder verwundet ist. ... Peter ist als Infanterie-Uffz. etwa am 20.10. gefallen. Er hatte erst während des Kriegs geheiratet und hing in rührender Anhänglichkeit an mir, da ich ihm schon als Arbeitskameraden auf der Post beim Tode seiner Mutter dienstlich und pekuniär geholfen hatte, ihn dann in den Sturm und damit zu einer anständigen Verdienstmöglichkeit brachte. Seine politische Überzeugung und Treue war beispielhaft. ...“
27.11.1941: „... Das ‘russische Tagebuch’ erhältst du nun wohl schon durch Mutti, es muß bald vollständig da sein. Mit ‘Lilli-Marleen’ will ich jetzt auch schließen, sende im Geiste eine verliebten Kuß und küsse ihn zeitlich! ....“
1.12.1941: „... Solange eben der Einsatz nicht beendet, das militär. Ziel nicht erreicht ist, habe ich gar nicht Gefühl eines Rechtes auf Urlaub ... Sogar zum Nichtraucher bin ich verurteilt, denn seit fast 2 Wochen gibt es garnichts mehr. ...“
2. Advent 1941: „... Kam plötzlich der Befehl zum Abrücken: Neues Kommando an einer anderen Stelle des Ringes. ...“
13.12.1941: „... Unterdessen haben sich ja wieder große Dinge ereignet, die Japaner gehen ran wie die Teufel und die Führerrede war wieder ganz groß. Durch den Kriegszustand mit USA haben wir wenigstens erreicht, daß diese es kaum mehr wagen werden, die Sowjets oder England wirksam mit Material zu unterstützen. ...“
19.12.1941: „... Deine Apothekerei ist hier sehr zu Ehren gelangt, da alle außer mir erkältet sind und ich den Kameraden etwas helfen kann. ...“
22.12.1941: „... Die Roten können ihre Angriffe offenbar nicht mehr artilleristisch vorbereiten, nur Panzer haben sie im Überfluß. Gestern haben wir wieder sehr schön Advent gefeiert, gleichzeitig war ja Wintersonnenwende und ich las abends bei Kerzenschein den Kameraden etwas vor: ‘Gespräch mit dem Tod’, was erst mittags als Frucht eines Abendspazierganges entstanden war, gut paßte u. tiefen Eindruck machte. ...“
1942: Ca. 70 Schreiben (wovon ca. 5 Karten), 62 Schreiben von Januar bis Juli, 7 von August bis Dezember.
19.1.1942: „... Die Russen versuchen die tollsten Sachen, in einem Abschnitt kamen sibirische Scharfschützen auf kleinen Schlitten von Polarhunden gezogen in toller Fahrt feuernd an, wendeten vor der Stellung u. rasten zurück. Sie sind weiß wie der Schnee, weiße Masken vor dem Gesicht, die Gewehre weiß gestrichen. .....“
10.2.1942: „... Liebste, Du hast nun [im letzten Brief] einen Satz geschrieben, den ich nicht ganz verstehe. Du schreibst: ‘Ich glaube, daß du nach alledem (Krieg etc.) mit deinen Idealen niemals mehr jenen Rock, den du vorher einmal trugst, wirst anziehen können. Wenn es so käme, weiß ich, daß du nicht daran zerbrechen würdest!’ Ich nehme nun an, Du meinst meinen SS-Rock und befürchtest, ich würde als Frontsoldat später nicht mehr in diese Gemeinschaft zurückkehren. Wenn es so ist, kann ich Dich beruhigen. Meine Ideale haben in nichts gelitten und dem politischen Orden der SS bin ich ja für das ganze Leben verhaftet. Nach dem Krieg werden wir auch in dieser Gemeinschaft überwiegend Frontsoldaten sein und den Bund mit neuem Leben erfüllen. ...“
12.2.1942: „Heute nur schnell ein paar Fotos. Du siehst endlich den sagenhaften Ofen mit dem Jakuzi (?) Jama u. Kirschblüte. Links ist leider das Schiff unten und der Wagen oben nur halb drauf gekommen. Meine Socken hängen noch etwas rein. Die weißen Streifen an der Ofentür, sowie der Teil unter dem Japanbild sind mit russischer Zahnpasta geweißt worden. ... Das andere zeigt uns in den Wäldern hinter Luga beim Unterstand-Bau. Meine Hautfarbe ist halb so dunkel wie die Hose. ...“
13.2.1942: „Heute nochmals 2 Bilder. Dieses Stilleben (ich bin nicht dabei) wird Dir sicher gefallen! So ein Wagen bedeutet für uns alles, Wohnhaus, Dienstraum, Restaurant, Näh, Putz, Hausstube, Garderobe, Möbelwagen und schließlich noch Beförderungsmittel. Das andere hunter Luga zeigt die Rollbahn. Diese Wagen stehen drei Glieder breit u. Kilometerlang, eine Notbrücke vorn bringt alles zum Stoppen. Im Graben rechts ein russischer Flüchtlingswagen. Hinten stehe ich mit 2 Truppkameraden. ...“
23.2.1942: „... Am interessantesten sind jetzt natürlich die Wochenschauen ... sie sind anschaulicher als alle Berichte. Bei Radioberichten über Ritterkreuztaten haben wir nun schon 2x den Kampf um ‘unsere’ Höhe (Karwalla) gehört, die sog. ‘Duderhofhöhe’, eigentlich sind es zwei. ...“
14.4.1942: „... Mir wurde vorgestern ein Korpsbefehl übermittelt, dem zu Folge ich im Wettbewerb des Armeekorps in Abteilung Gedichte den 1. Preis bekommen habe. ....“
17.4.1942: „... Der Russe ist eben wieder recht aktiv, er hat uns allerlei hergesetzt, jeden Morgen macht er auch Luftangriffe, ich sitze pünktlich 5h mit Fritz immer raus an unserem selbstgebautem Fla-M.G.-Stand. ..“
23.4.1942: „... Am 19. hörten wir sehr schön gemeinsam die Feierstunde zu Führeres Geburtstag mit Dr. Goebbels Rede, und anschl. die 9. Symph. Am 20. hatten wir unser Führerbild mit Tannen geschmückt u. Kerzen davor auf Leuchten .... wir tranken ein Glaserl und ich sprach ein paar Worte dazu. ....“
10.5.1942: „... Der Chef weiß nun auch, daß ich Offizier werden will u. versprach ‘es im Auge zu behalten’. Er hat mich jetzt endlich kennengelernt - durch den Preis vom A.K., eine gemeinsame Zeugenvorladung beim Kriegsgericht und jetzt durch den letzten Schritt. Mein hübsch gewordenes Rußland-Buch liegt eben auch schon zur Ansicht der Kompanie vor. Froh und glücklich bin ich aber doch, dauernd abgestellt zu sein, es ist wie Ferien vom Kommiß, die Atmosphäre bei der Komp. in Ruhestellung ist grenzenlos ungemütlich u. unser Eigenleben hier ein Geschenk des Himmels. ...“
19.5.1942 [Hier wird die baldige Trennung der Beziehung offensichtlich; Gudrun scheint in ihrem letzten Brief Zweifel am NS-System geäussert zu haben, was für XY restlos unverständlich ist und ihn zu einer brieflichen „Warnung“ animiert]: „... Daß unsere seelisch-geistige Einstellung aber aus einem Guß sei, ja, einer am anderen erstarke, steht als Gesetz über unserem Bund, wenn es das sein soll, was ich von ihm verlange, was auch du meines Wissens von ihm verlangst. ...“
1943. 3 Schreiben
14.2.1943: „... Ich hause wieder bei der Kompanie in einem sehr schönen Quartier .... Ich mache hier ruhigen Dienst als Aufsicht oder Ausbilder für den Ersatz, leite manchmal Unterricht. Unter meine Schülern sitzt dann als kleiner Junker der Sohn des Oberbefehlshabers Ritterkreuzträger Generaloberst Lindemann, der 35 Jahre alt, Familienvater, bisher im Export tätig war und fast die ganze Welt schon bereist hat. ...“
1944: 2 Schreiben
5.10.1944: „... Nach dem Urlaub wurde ich wieder hierher in den alten Standort Leisnig zu einer Nachr. Ausb.Komp. versetzt.... Ich werde wohl erst in 6 Wochen k.v. und hoffe spätestens im Frühjahr eine fruchtbare Offensive unserer Waffen mit voran tragen zu können. ....“
Lyrik
Im Nachlaß fanden sich zahlreiche handschriftliche Gedichte. Diese sind teils in einem Buche überliefert, welches XY der Gudrun 1940 zu Weihnachten schenkte, teils wurden sie von 1940 bis 1942 per Brief verschickt.
Buch: 8°, Halbleineneinband, ca. 150 Blatt, ca. 100 beschriebene Blatt. Auf dem vorderen Vorsatz steht „Meine Gudrun, Weihnachten 1940, Günther“. Enthalten sind ca. 100 Gedichte, die zwischen 1935 und 1941 geschrieben wurden (teils einige Zeilen, teils mehrere Seiten lang. Bei dem Buch handelt es sich um eine Weihnachtsgeschenk-Abschrift. Ca. 20% der Gedichte sind politischen Inhalts, ca. 10% behandeln das Kriegserlebnis.
1935: 2 / 1936: 40 / 1937: 20 / 1938: 9 / 1939: 13 / 1940: 9 / Nachtrag 1937-1940: 6 / 27.1.1941: 1.
Unten einige Zitate:
- „SS-Wintersonnenwende 1935: Der Sturmwind tobte in dunkler Nacht, wir standen auf eisigem Gipfel, wir standen und hielten die Feuerwacht, im Bergwald rauschten die Wipfel / .... / Das Feuer tobte, wir dachten der Toten, es riefen die Herzen in heiligem Schwur, wir dachten der Treue und ihren Geboten / zu folgen der Helden wegweisende Spur / Es klangen die Herzen es schwiegen die Münder, wir dachten des Erbgut’s zu walten, die Flamme verschmolz des Reiches Künder zu Kameraden, die Jungen und Alten / Wir dachten des Führers, der feuergeboren erstand seinem Volk in der flammenden Not, ohn’ ihn wär’ heut Deutschland verloren, wir gehen für Deutschland, für ihn bis zum Tod / ...“
- 9. November (1935): „... / ... / Das Quaderwerk, das ihre Reste deckt [die Reste der Toten des 9.11.], ist Grundstein einer neuen Zeit, die mahnend alle Müden, alle Lauen weckt, ‘Mitbauen an des Reiches Ewigkeit’!“
- Feuer, Sonnenwende SS (1937): „Von der Urmutter stammst du, Die Sonne, die wir als Lebensspenderin ehren, die wir als Siegbringerin führen im Banner .......“
- SS Lied (1937): „Kampf ist die Losung, drum streiten wir fort, und wehren den Geist, unseren heiligsten Hort, den Geist, der uns alle zusammenband, den Geist, der gerettet das deutsche Land, drum SS voran / Tod auf der Stirne und schwarz unser Kleid, dem Kampf um Deutschland das Leben geweiht, wir stählen uns alle für kommende Not, und harren bereit auf des Führers Gebot, drum SS voran / ... / .... / .... / ....“
- Der Held, Maginot-Linie (1940): „Einen Knaben sah ich lächeln, den der Kampf gereift zum Mann, zwischen Schuß und Todesröcheln trugen Sanitäter ihn heran / Auf der Zeltbahn lag der blonde Knabe nur ein Knochen blieb von seinem Arm, als ich ihn gesehen habe, überlief es mich ganz warm / Wie zwei Stöcke ragten Knochensplitter und die Adern hingen weg.... / ... / ....“
Die 17 handschriftlichen (und datierten) Gedichte entstanden 1941 und 1942 und behandeln teils Kriegserlebnis und Kameradschaft, aber auch Naturschönheiten oder Plastiken eines Fritz Klimsch (die vor dem Propagandaministerium aufgestellt worden waren, dazu siehe der Brief vom 26.4.1942).
Einige Zitate:
- Einem SS-Kameraden (28.4.1941): „Wenige gibt es wohl nur, denen das Herz ist so lauter, wir pures Gold in leuchtender Treue zum einmal gewählten Ideale und gleichgesinnten Genossen, daß sie im Sturme des Lebens diese als Banner wie den höchsten Gehalt ihrer persönlichen Ehre / ... / ..“
Bemerkenswert ist ein Gedicht vom Januar 1942, welches frierende und erfrorene Zivilisten bei Slusk thematisiert. Zum Text schreibt XY an Gudrun im Brief vom 31.1.1942: „Was ich hier beilege, ist keinesfalls eine übertriebene Häufung von Schauerlichem, sondern höchst realistisch geschildertes Erlebnis. Wer dieses Bild nie gesehen hat, hat vielleicht keine Möglichkeit, es auch anhand roher Verse sich plastisch vorzustellen. Für uns hier steht neben jedem Wort das lebendige Beispiel. Ich schicke es Dir zur Kenntnisnahme, erbauen wird es Dich sicher nicht.“
„Der Hungermarkt von Sluzk.
Hohle Augen, blaue Wangen, wülstig schmerzverzerrter Mund; Zottelhaare wild verhangen, aus gedörrter Vogelschlund / Blut auf den erfror’nen Nüstern, Reif im wilden Bartgeflecht, und die Blicke hungrig lüstern, krumm die Körper vom Begrecht / Blutigrot gesprungne Lippen, bleich wie Schnee vernarbte Haut, schmerzhaft preßt aus hagern Rippen sich der Krankheit Jammerlaut / Keine Menschen, Hungerleichen, aller Grauen SchrecXYespenst, vor des Frostes Markenzeichen, die verzerrte Stirn umkränzt / ringsum Schnee, im Hauch des Eises steht das Elend hundertfach, Kinder, Weiber, und des Greises altersschweres Ungemach / Lumpen, Leder hüllt die Knochen, Teufelsfratze grinst aus Pelz, Grauen kommt dahergekrochen, Krüppel hinkt am hölzern Stelz / ... / ... / ... / ... / ... /...“
Beiliegend noch 2 Zeitungsseiten (1941-1942) und eine Abschrift aus dem Wehrpass des S. mit Angaben zu den erlebten Kämpfen 1940.
Photos:
Gesamt ca. 30 s-w-Abzüge zumeist à 6x9cm, teils verso betitelt. Zustand: Etwas berieben, sonst gut. 22 Bilder entstanden während des Krieges, der Rest wohl 1938-1939.
Zivil: Gezeigt S. mit Freunden und der Verlobten, einmal mit Vater in Berlin 1940, einmal mit Vater zu Pfingsten 1941.
Militär:
1940: S. mit Schlauchboot, verso steht: „Meiner lieben Gudrun vom Oberrheinangriff 14.-17.6.40“ (Das Bild wird im Brief vom 21.7. genau erläutert).
1941: S. beim Zelten zu Pfingsten; Bergausflug bei Üsküb, Kompanieausflug Mai 1941 (2x); Funkwagen in Belgrad im Mai 1941(1x);
1941 Ostfront: S. mit Kamerad bei Ferkelbraten im „Raum Polozk-Newel-WelikijeLuki“ (1x); S. mit Stiefel (ebda.); 3x Funkwagen mit Soldaten im August 1941an der Luga-Front (alle Männer namentlich aufgeführ); „Rollbahn Luga-Leningrad 29.8.1941“ (1x); 1x „seitlich der Rollbahn Luga-Leningrad kurz hinter Luga beim Bunkerbauen ...“; 1x „Gefechtsstand Angriff auf Krasnogwerdusk, am Scherenfernrohr Eugen, ich davor, 10.-12.Sept. 41“; 1x „Blick auf Leningrad vom ‚Feldherrnhügel bei Karawala’ (2. Höhe von Duderhof, Anfang Okt. 41); 1x Haus im Winter, 1x Ofen in Karwalla.
(c) Ingo Hugger 2020 |
livre@cassiodor.com