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Jahr: 2008/1917
Bemerkung:
ArtikelNr. 4096

 

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Nord, 2008. Artois; Fromelles: Relikte, gefunden im Bereich des ersten deutschen Grabens.
Der vorderste britische Graben befand sich im Rücken des Kamerastandpunktes. Abgebildet sind u.a. einige Granaten, eine Schaufel und Überreste von britischen Stokes-Wurfgranaten. Am Horizont der Kirchturm von Fromelles.
Hier kam es am 19.-20. Juli 1916 zu schweren Kämpfen, als zumeist australische Soldaten einen erfolglosen Angriff auf die deutschen Linien durchführten. 2008 begannen nahe Fromelles Ausgrabungen, um ca. 300 von den Deutschen 1916 hastig begrabene und bis heute nicht gefundene Leichen britischer und australischer Soldaten zu bergen.

Das Bild dient hier nur als „Aufhänger“ für einige höchst interessante Zitate, die sich in einer Quelle von 1917 fanden. Es handelt sich um die „Anleitung zum Kompagnieführer“, die als Entwurf in der Reichsdruckerei zu Berlin gedruckt wurde und wohl angehenden Kompanieführern ausgehändigt werden sollte. Der Leser erhält einen direkten und überraschend ungeschönten Einblick in das Leben der einfachen deutschen Soldaten des Krieges.

Anleitung zum Kompagnieführer. Entwurf. Gedruckt in der Reichsdruckerei, Berlin 1917.

[Mannschaften:] „... Die Mannschaften sind durchweg willig und leisten das beste, wenn Behandlung gerecht, streng, belehrend, anfeuernd. .... Für guten Lesestoff (Kompagniebücherei, Zeitungen) und Unterhaltungsspiele Sorge tragen. Kenntnis von Namen, Beruf, Familienverhältnissen. Viel mit den Leuten sprechen. ... Benachrichtigung der Angehörigen von Gefallenen, Briefe von Verwundeten beantworten. ...

[Verpflegung:] ... Fürsorge für gute Verpflegung äußerst wichtig, dankt Untergebener am meisten. Täglich melden lassen, was empfangen. Nur zuverlässige Unteroffiziere und Leute zur Küche kommandieren. ... Feldküche schonen, wenn möglich in Kesseln kochen. ... Braten von Fleisch in besonderen Kesseln anstreben, in der Feldküche, wegen Durchbrennens der Kessel verboten. Schmalz und Fett ausbraten soviel als möglich, Verliebe der Küchenunteroffiziere für Ersparnisse genau überwachen. Besondere Mahlzeiten daraus ansetzen. Strengste Überwachung in der völlig gleichmäßigen Lebensmittelausgabe. Unter keinen Umständen geringste Bevorzugung von Offizieren, Feldwebeln und Chargen dulden. ... Spirituosen in der Regel nicht ausgeben, sondern in der Küche verarbeiten, Teepunsch, Mehlsuppe mit Rotwein, Glühwein, letzteren nur, wenn außerdem festes Essen. ... Beitreibungen, wenn nötig, nur unter Offizier mit wenigen Leuten. ... Liebesgaben-Verteilung selbst bestimmen. Leute, die wenig von Hause [sic] erhalten, bevorzugen. Nachlässige Leute und Bestrafte ausschließen. ....

[Bekleidung:] ... Wegwerfen schmutziger Wäsche bestrafen. Besonderes Augenmerk auf gute Fußbekleidung. Feststellen, wieviel Paar Strümpfe im Besitz, nicht mehr stopfbare Strümpfe nach der Heimat senden. ...

[Unterkunft:] ... Kein Rauchen in der Nähe von Stroh. Sobald Leute schlafen, kein Feuer in den Öfen, sonst leicht Kohlenoxydgasvergiftungen. ... Im Kompagnierevier Karten aufstellen mit abgesteckter Kriegslage.

[Körperpflege:] ... Ausschlag an den Beinen Folge von Unsauberkeit. Gelegenheit zu warmen Duschen, im Sommer baden, verschaffen. ... Wenn angängig ohne Stiefel schlafen lassen, nachsehen! Fußappells. Turnspiele mit nacktem Oberkörper. Beim Marsch dauernde Beobachtung der Marschfähigkeit des Einzelnen durch öfteres Ablaufenlassen. ... Unterkunft und Unterstand sauber. Benutztes Stroh und Bett mit schmutziger Wäsche möglichst vermeiden. Stroh oft wechseln. Gegen Ungeziefer energisch einschreiten. ... Für Trocknen nasser Sachen der Leute sorgen. Trockene Fußbekleidung anziehen. ... Genügende Anzahl Latrinen, Bestreuung mit Chlorkalk oder wenigstens mit Erde. Unterreicht über Hitzschlag und Erfrierungen durch Arzt. Unterreicht über Geschlechtskrankheiten. Schutzmittel bei Sanitätsunteroffizier bereithalten. Gebrauch befehlen. Nichtgebrauch mit Arrest bestrafen. Untersuchungen von Geschlechtskrankheiten besonders vor Urlaub. Belehrung über übermäßigen Alkoholgenuß. Gegen Trinker rücksichtslos vorgehen. ...

[Löhnung:] ... Durch Belehrung einwirken, daß sich die Mannschaften kein Geld von ihre Angehörigen senden lassen, vielmehr nach Möglichkeit Geld nach Hause schicken. Absenden von Geld, namentlich am Löhnungstage überwachen. ...

[Singen:] Singen bei jeder Gelegenheit. Gute, frische Lieder einüben; vierstimmigen Gesang pflegen.

[Post:] Empfang und Ausgabe überwachen. Häufige Belehrung über Adressen. Leute müssen nach Hause schreiben, sonst viel Anfragen. Auf Dienstverschwiegenheit hinweisen. Nicht in trüber, sondern in frischer Stimmung schreiben und Angehörige anfeuern, auch daheim alle Entbehrungen des Krieges ohne Murren bis zum siegreichen Ende zu ertragen.“ (S.15-21)

[Ordnung im Graben]: „... Abschnitte der Kompagnien mit Buchstaben bezeichnen. ... An Grabenschnittpunkten Lageskizzen der nächsten Gräben anbringen. An jeder Grabeneinmündung Wegweiser mit Pfeilstrichen. Die Bezeichnung der eigenen Truppe (Kompagnie-Nr. usw.) weglassen, damit nachfolgende Truppe nicht wieder ändern muß, dafür setzen ‚Kompagnie B’, ‚linker Zug’ usw. Unterstand des Kompagnie- und Zugführers, Fernsprecher, Sanitätsunterstand, Zugänge zu Latrinen, Kompagnie- und Zuggrenzen, tote Gräben usw. bezeichnen. Schilder mit angegebener Entfernung bis zum Feinde, Warnungstafeln an Stellen, nach denen feindliche Scharfschützen öfters hinschießen, anbringen. ...“

[Waffen, Munition, Schanzzeug]: „... Jeder Mann hat sein Gewehr und Bereitschaftsbüchse mit Gasmaske stets bei sich zur Hand. In jedem Unterstand müssen Schanzzeug zum Ausgraben bei Verschüttungen, eine Axt zum Entfernen zerschossener Unterstandshölzer und zwei Stearinhölzer als eiserner Bestand dauernd vorhanden sein. Munition, außer der Taschenmunition, die jeder Mann bei sich führt, ist im Graben so verteilt, daß zwischen je zwei Schulterwehren 1 bis 2 in der vorderen Seite des Grabens eingebaute Kästen mit etwa 150 Patronen niedergelegt sind. Zur Aufbewahrung von Handgranaten ist zwischen je zwei Schulterwehren ein fester Kaste, ähnlich dem für S-Munition einzubauen für etwas 16 Handgranaten. Diese sind mit dem Stiel nach oben senkrecht nebeneinander aufzustellen. Sie müssen scharf, mit Kapsel versehen sein und sind von Zeit zu Zeit auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen. Stiele nicht älter als ein halbes Jahr. ... Bei Auffüllen die neuen Handgranaten hinter die älteren Stellen. ...“

[Ordnung im Graben]: „... Ganz nacktes Ausziehen der Leute im Graben ist verboten, dagegen ein gelegentliches Entblößen des Oberkörpers, zur Ausdünstung nach Aufenthalt in tiefminierten, feuchten und dumpfigen Unterstande, zu gestatten. Jedes Verrichten der Notdurft im Graben sowie jede andere Verunreinigung des Grabens oder der Unterkunftsräume ist streng zu bestrafen. Gefäße zum Urinieren aufstellen. ... Für Speisereste, Konservenbüchsen usw. muß vom Zugführer ein Platz (Grube, Granatloch) hinter der Front bestimmt werden, daß von Zeit zu Zeit zuzuschütten ist. ... Eiserne Selterswasserdepots sind in allen Stellungen anzulegen und öfters zu erneuern. .... Jeder Mann hat drei eiserne Portionen, zwei gefüllte Feldflaschen bei sich. Selterswasser ist ihm, je nach der Wasserversorgung der betreffenden Stellung mitzugeben. Warme Verpflegung ist, wenn irgend zu ermöglichen, täglich zuzuführen. Meist ist das Einbauen von Kochkesseln in der Nähe der Bereitschaft und von Kaffeeküchen in der Nähe des Kampfgrabens möglich. ... Auf strammste Manneszucht achten. Ehrenbezeugungen im Graben stramm. Leute, die auf dem Schützenauftritt sitzen, nehmen nur im Sitzen eine gerade Haltung an. ... Einfetten der Waffen gegen Feuchtigkeit und Gase. Patronen sind jeden Tag trocken zu wischen. ... Stets beachten, daß nur eine geringe Anzahl von Mannschaften den Kampfgraben zu einem dienstlichen Zweck verlassen darf. ... Alle diese Leute melden sich unterwegs unaufgefordert bei jedem Offizier, den sie treffen. ... Von Anwesenheit irgendwelcher Vorgesetzter im Graben ist dem nächsthöheren Vorgesetzten sofort Meldung zu machen.“ (S. 80-87).

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