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Jahr: 1939-1941
Bemerkung:
ArtikelNr. 3862

 

E-Mail

Erschütterndes Konvolut aus Nachlass. Briefe und Photos zur Euthanasie, 1939-1941.

Das Konvolut fand sich 2009 bei einem Trödler in München. Die Stücke waren Bestandteil eines grösseren Feldpostnachlasses einer Familie. Enthalten sind hier 2 Briefe mit Umschlag, ein Umschlag ohne Brief, 2 s-w-Photos, 2 s-w-Glasnegative, 1 s-w-Negativ.

Aus Briefen geht hervor, daß ein Hansi, Mitglied einer Familie schwer behindert war, offensichtlich mehr körperlicher denn geistiger Art. Hansi ist auf einigen Photos wohl mit seinen Verwandten und einem Pfleger gezeigt. Auf 2 Bildern sehen wir ihn in einem Rollstuhl, an dem rechts eine Hakenkreuzflagge angebracht ist – grauenhafte Photos.
Hansi wurde wohl 1939 von einer Pflegeanstalt in Haar in die Landes-Irrenanstalt Niedernhart-Linz (heute: Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg) verbracht und 1941 dort (oder im benachbarten Hartheim) ermordet. Dabei war dem jungen Mann klar, was mit ihm geschehen würde. Er hatte seinem Bruder geschrieben, daß er Angst habe, nach Linz zu kommen, da dort soviele stürben.
Von dem Tod des Hansi erfuhr die Familie wohl erstmals durch einen Eilbrief, den wohl die Mutter dem Hansi schickte und der zurück nach München kam, mit dem Vermerk „Empfänger nicht mehr anwesend“.
Ein Beileidsbrief aus der Schweiz wurde gar von den Wehrmachts-Zensurbehörden geöffnet und gelesen – was sich der Zensor dachte, vermag man nur zu erahnen.

Die erschütternden Stücke beleuchten nicht nur die grausame Praxis der Euthanasie, sondern auch das Wissen der Bevölkerung um die Taten. In den Briefen liest man einerseits von dem Glauben der Menschen an die althergebrachte zivilisierte Hilfsbereitschaft der Gesellschaft Schwächeren gegenüber. Andererseits aber scheinen eben doch alle gewusst zu haben, daß im Deutschland Adolf Hitlers die Dinge aus dem Ruder gelaufen waren und das System die Ideale der christlichen Nächstenliebe ad actas gelegt hatte.

- Beiliedsbrief des Verwandten Hans aus der Schweiz, 9.8.1941 (Mit Umschlag, Briefmarken und Stempeln, von der Wehrmachts-Briefzensur geöffnet und gestempelt): „Mit tiefem Schmerze haben wir die Nachricht vom lb. Hansis Ableben erhalten. Wir begreifen euren Schmerz nur zu gut, und doch möchte ich euch sagen, er hat den besseren Teil erwählt. Wer hat es noch schön auf dieser Welt? Hansi hatte ein Opferleben, das ihm den Himmel mit Freuden vergelten wird. ... Wann ist er denn gestorben, welches Datum? Hat er unseren Brief noch erhalten u. gelesen oder konntet ihr ihn schon lange nicht mehr besuchen? ... Soeben habe ich der Gretel geschrieben, die wird staunen, denn sie schrieb, es wundert sie, daß Hansi noch lebt, soweit sind wir. ..“
- Feldpostbrief des Unteroffiziers Rudolf A. an seine Familie, 20.7.1941 (mit Umschlag, dieser gestempelt, nicht abgebildet): „Ich bin sehr traurig, daß es mit Hansi so schnell gegangen ist. Er hat freilich nicht viel vom Leben gehabt und ist trotzdem sosehr an ihm gehangen. Mir hat er noch von Haar aus geschrieben, daß er Angst hat, wenn er nach Linz kommen würde, weil dort soviel sterben. Ich hab es ihm aus dem Kopf zu reden versucht, aber selbst hab ich nicht dran geglaubt. ...“
- Umschlag eines Briefes, der nicht zugestellt werden konnte. Am 27.6.1941 von München in die „Heil-Pflege-Anstalt Niederhardt bei Linz“ per Eilbrief Express geschickt, zurück am 28.6.1941 (Briefmarken und Stempel, Läsuren, zahlreiche handschriftliche Vermerke, Nachname des Heini im Original nicht unkenntlich): Auf dem Umschlag steht verso: „Eilzust. versucht. Empfänger nicht mehr anwesend. A. 28.VI.41, 20.10. Gustl Enzenhofer“, dazu in anderer Farbe „nicht hier“.
- 2 s-w-Abzüge à 6x9cm, einmal Agfa-Lupex. Gezeigt Hansi im Rollstuhl, einmal wohl mit Eltern und Schwester in einem Park oder Garten, einmal wohl mit Bruder vor Krankenhaus Haar.
- 2 s-w-Glasnegative à 6x9cm, gezeigt Hansi im Rollstuhl mit Hakenkreuzfahne wohl vor Fassade des Krankenhauses Haar, einmal wohl mit Bruder.
- 1 Negativ à 6x9cm, Hansi im Rollstuhl wohl mit Pfleger vor Krankenhaus Haar.



Weitere Angaben zu Hansi konnten anderen Briefen des Feldpostkonvolutes entnommen werden (Briefe nicht Bestandteil dieses Artikels). Bruder Rudolf schreibt der Mutter:
15.8.1939: „Hat übrigens Hans wegmüssen?“
16.7.1941: „Ist Hansi schon wieder gesund?“
20.8.1941: „Ist das Grab vom Hansi schon fertig? Wenn ja, möchte ich ein Bild davon.“
9.9.1941: „Wie steht es mit dem Bild vom Grab Hansi?“
Daß Rudolf ein Photo des Grabes erhielt, muß bezweifelt werden!

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