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> Kunst
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Jahr: |
1937 |
Bemerkung: |
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ArtikelNr. |
3845 |
E-Mail
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Reichsbund der Kinderreichen, Elz 1937. 24 Negative, gezeigt 48 Menschen
24 s-w-Negative à 6x9cm, gezeigt zumeist Ehepaare. Die Negative wurden von privat mit einseitig klebender Folie versehen, sodaß die eigentlich gemeinsam auf einem 6x9-Negativ photographierten Paare im Bild alleine stehen – pro Negativ ergeben sich also 2 Einzelportraits anstatt einem Doppelportrait. Negative etwas berieben, partiell leichte Kratzer oder Finfer-Fettflecken, sonst gut. Teils sind die Bilder etwas überbelichtet oder zu lange entwickelt, sodaß sie im jpg nicht richtig widergegeben werden konnten.
Die Bilder wurden wohl zum Zweck einer Veröffentlichung angefertigt. Sie sind erhalten in der originalen Negativ-Papiertasche eines Photolabors aus Limburg an der Lahn, dort auch genau datiert (April 1937). Mittig steht, per Hand geschrieben: „Kinderreichen-Bund“. Wahrscheinlich sehen wir auf den Bildern die Mitglieder des Bundes aus Elz (und Umgebung?).
In einem Fall wurden 2 Männer gemeinsam aufgenommen, sonst sind ausschließlich bigeschlechtliche Paare gezeigt. Die Namen der Menschen sind nicht überliefert. Wahrscheinlich trafen sich die Mitglieder zu einer Versammlung und die versierte Photographin nutzte die Gelegenheit, die Menschen zu portraitieren.
Der Bund der Kinderreichen wurde 1922 gegründet. Ein Mitglied musste mindestens 4 Kinder gezeugt bzw. geboren haben. Ab 1933 nannte sich die Vereinigung „Reichsbund der Kinderreichen“, ab 1940 „Reichsbund Deutsche Familie, Kampfbund für erbtüchtigen Kinderreichtum”. Heute heisst die Gruppierung „Deutscher Familienverband“ (DFV).
Die Negative entstammen einem Photo- und Dokumentennachlass einer Familie, der 2008 bei Ebay ersteigert wurden. Es erscheint sicher, daß ein Mitglied einer Familie Martin aus Elz die Photos gemacht hatte, wahrscheinlich eine Frau. Frau Martin richtete den Blick auf die Bevölkerung von Elz und machte ca. von 1937 bis 1940 beeindruckende Bilder der Menschen ihrer Umgebung. Sie benutzte eine Mittelformatkamera (zumeist sind Negative im Form 6x7cm erhalten) und stellte die Menschen oftmals vor einen neutralen Hintergrund, teils auch vor eine eigens aufgebaute Phototapete. Fast alle Photos entstanden unter freiem Himmel, fast immer wurde als Format das Hochformat gewählt.
Durch die hohe technische Qualität der Negative und die künstlerische Befähigung und Disziplin der Bildautorin stellen die Photos eine historische Quelle ersten Ranges dar: Die Bewohner einer deutschen Kleinstadt kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, kurz vor dem unerbittlichenWandel, erstehen hier vor dem Auge des Betrachters. Dazu ermöglicht die strenge Bildsprache einen direkten Vergleich der Menschen und deren Habitus.
Die Arbeiten der Martin erinnern entfernt an diejenigen von August Sander, denn es gelang der Frau, die ganze Aufmerksamkeit ihrer Modelle an sich zu binden. Die Menschen sind sich der Wichtigkeit des Moments bewusst und legen einen sagen wir wahrhaftigen Gesichtsausdruck an den Tag. Wir sehen Hitlerjungen und BDM-Mädels, einen Feuerwehrmann in Uniform, einen SA-Angehörigen mit Trompete, ehrenwerte Männder im Anzug, mit und ohne Parteiabzeichen; junge und alte Frauen, teils modisch, teils neutral gekleidet. Und viele Kinder, mit und ohne Spielzeug, teils lachend, teils nachdenklich.
(c) Ingo Hugger 2020 |
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