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Jahr: 1915-1916
Bemerkung:
ArtikelNr. 3702

 

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Fotoalbum 1915-1916. Carl Boediker und & Co., Brügge. Marinedivision und Kanalküste. 90 Fotos.


Fotoalbum eines deutschen Soldaten. Informationen zum Soldaten fehlen (Name, Dienstgrad, Truppe), auf der ersten Seite steht, von Hand geschrieben, „Kriegsbilder 1915/16, Brügge“. Quer 8°, Leinwandeinband, kartonstarke Seiten. Ca. 45 s-w-Fotos von der Etappe in Brügge, ca. 45 s-w-Fotos vom Kampfeinsatz (Waffen, Flugzeuge, zerschossene Gebäude etc.) primär an der Kanalküste. Format der Bilder variierend, von ca. 4x7cm bis ca. 17x11cm. Die Bilder meist beschriftet. Beklebt ist immer die rechte einer Doppelseite. Zustand: Einband berieben, minime Läsuren, sonst gut.
Bemerkenswert erscheinen ein Foto eines an einer Mole vertäuten deutschen U-Bootes mit Beflaggung (betitelt „nach erfolgreicher Fahrt“), ein Foto, das einen Torpedotreffer am Heck eines Dampfers zeigt („Einer weniger“) sowie Bilder von abgestürzten Flugzeugen. Dazu kommen die faszinierenden Lichtbilder, die die deutschen Stellungen am nördlichen Ende der Westfront zeigen, nämlich in den Dünen bei Nieuwpoort.

Provenienz und Zusammenstellung der Bilder geben Rätsel auf. Wahrscheinlich hat der ehemalige Eigner ins Album von Freunden und professionellen Photographen gemachte sowie selbstgeschossene Bilder montiert. Die künstlerische Qualiät und kulturhisorische Güte der meisten Bilder ist beeindruckend.
Es lassen sich verschiedene „Handlungsstränge“ erkennen:

- Brügge, Firma „Bödiker“, Militär. Wahrscheinlich war der Eigner des Albums in der von Deutschen geleiteten Fabrik „Carl Bödiker“ in Brügge tätig, wahrscheinlich in leitender Position.
Bild 2 zeigt einen würdigen Herren im Lehnstuhl, „Fritz Prollius“ betitelt, Bild 1 wohl ein klassizistisches Industriegbäude, „Moulin Rouge“ genannt. Bilder 3 und 4 zeigen Arbeiter und Angestellte, einmal mit Tafel „Lagerpersonal der Firma Carl Bödiker & Co., Brügge 1916“, Bild 5 ist ein Portrait eines Ernst Daumann. Auf Foto 6 sehen wir „Die Herren Bödiker“, 5 in Zivil gekleidete Herren auf sonniger Wiese liegend, auf Bild 7 eine gemischtgeschlechtliche Gruppe (5 Männer und 3 Frauen) „in der Mühle“ beim Kaffee (nur ein Mann trägt Uniform). Bild 9 zeigt dann eine grosse Gruppe Soldaten, betitelt „Feldwebel Mohr hat Geburtstag“ (die abgebildeten Herren meist in Uniform, einige in Zivil), 10, 11 und 12 halten ebenfalls Festgruppen fest („Ernst Moss feiert Abschied“, „Hans Nölting der Scharfmacher desgleichen“, „Juchu als Gast, 5/6 März 1916“), die Männer wie zuvor nur teils in Uniform (auf Bild 12 zeigen sich 2 Mann in Marineuniform, gehören wohl zum Marinekorps).13-17 bringen diverse Menschen (3x „Frau Friedl“), 17 zeigt „Fritz Lehmann“ beim Betanken eines Motorrads. Auf Bild 19 sieht man eine Männergruppe vor und in einem Eisenbahnwaggon, betitelt „Auf der Statie“, der Waggon mit Aufschrift „Mil.Gen.Direktion Brügge“. Bild 44 bringt wieder eine Männergruppe im Garten (wohl die Bödiker-Brüder mit Freunden), 47 ebenso.





- Brügge, Militär.
Foto 30 zeigt das „Aufziehen der Wache“ wohl am Hauptplatz von Brügge, die Soldaten mit Jäger-Helmen (nicht mit normalen Pickelhauben), rechts am Bildrand ein Marineinfanterist „Fürst“. Auf Foto 33 sieht man Zivilisten und Soldaten auf dem Hauptplatz von Brügge, betitelt „Sonntag Mittag beim Konzert“, auf Foto 34 eine Gruppe von Marine-Offizieren auf einer kleinen Brücke „hinter Notre Dame“. Auf den Fotos 43 und 44 sieht man den Soldatenfriedhof Brügge, auf Foto 45 ein Begräbnis daselbst mit angetretener Truppe (betitelt „Lt. David in memoriam!“).



- Brügge, Stadt. Fotos 23-26 zeigen „Die Stadttore von Brügge“, 27-29 Kanalansichten („stille Winkel“), 31 eine Gasse („l’ane aveugle“), 32 eine Kanalansicht, 35 eine belebte Strasse, 36 „das alte Castell“, 37 „Nonnen“, 38 Stadtmauer und Gewässer, 39 Stadtplatz mit angetretenen Soldaten („bei der Akademie“, 40 „Notre Dame“, 41 einen verschneiten Kanal mit Schiffen, 42 „St. Sauveur“. 43 ist eine Postkarte, betitelt „Les arches au Lac d’Amour“.

- Etappe Belgien. Bilder 20 und 22 zeigen einen deutschen Offizier, betitelt einmal „The Duke of Gieson“. Auf Bild 21 sieht man einen Mann und eine Frau auf Motorrad (Kennzeichen M 707). Bilder 41 und 42 bringen dann einen Mann auf Motorrad, sowie Chauffeur und Offizier im Kraftwagen (beide unbetitelt).

- Kanalküste, diverses.
Das eindrucksvolle Foto 46 zeigt Strand und Seepromenade der Stadt Ostende, im Vordergrund Stacheldrahtverhau, dahinter schaufelnde Zivilisten. Auf Bild 60 sieht man den im Hafen liegenden Dampfer „Zaanstroom“ aus Amsterdam, handschriftlich betitelt „Ein fetter Bissen“. Bild 61 zeigt deutsche Kavalleristen mit Pickelhaube beim Einmarsch in ein Dorf, darunter heisst es „1914“. Auf Bild 73 sieht man die berühmte Mole von Zeebrügge. Bild 74 bringt ein deutsches U-Boot im Hafen, 75 ein grosses getauchtes und ein wesentlich kleineres fahrendes U-Boot, 76 zeigt einen Torpedotreffer am Heck eines Dampfers, 77 die Mole von Zeebrügge.



- Kanalküste, Frontlinie und Stellungen
Bild 55 zeigt „unsere vorderste Stellung an der Küste“ (nämlich spanische Reiter und Stacheldrahtverhau am Sandstrand), Bild 56 einen Blick „durchs Scherenfernrohr“ auf den Graben der Gegner, Bild 57 wohl einen zerschossenen Wasser- oder Beobachtungsturm (1858 errichtet), Bild 58 Soldaten bei der Essenzubereitung im Graben im Sand, Bild 59 deutsche Soldaten im Überschwemmungsgebiet, Bild 60 einen deutschen Soldatenfriedhof neben Stellungen in den Dünen (Titel „Soldatenlos“), Bild 61 die selbe Szene aus anderem Blickwinkel, 62 „Dünenstellungen“, 63 deutsche Marineinfanteristen mit schwerem MG08, 64 ein getarntes deutsches Geschütz mit Marine-Bedienungsmannschaft, 65 ein „Scheingeschütz“, 66 ein feuerndes Marinegeschütz in Bettung, 66 deutsche Marineinfanteristen am Strand neben einer Seemine.
Bilder 67 und 68 sind beeindruckend: 67 zeigt ein abgestürztes englisches Flugzeug (Doppeldecker) an der Küste, daneben deutsche Soldaten; 68 bringt die Grabkreuze, die die Deutschen den begrabenen Engländern errichteten, alle datiert auf den 6.6.1915, beschriftet mit: „Gott verdamme England“, „III. Strafgericht“, „II. Strafgericht“ und „Gott strafe England“, dazu 2x mit dem Namen eines Soldaten; links im Bild der Überrest eines Flugzeugmotors.
Bilder 69 und 70 zeigen Waffen („Lufttorpedo“, Flügelmine), 71 einen Marineinfanteristen mit leichtem Minenwerfer, 72 ein zur Fliegerabwehr eingerichtetes deutsches 98er-Geschütz mit Artilleristen. Foto 78 bringt einen Deutschen in Uniform mit geschultertem Gewehr (am Mützenband „Matrosenregiment“) neben einer aufgestellten 38,5cm-Granate. Bilder 82, 83 und 84 zeigen deutsche Unterstände im Sand der Dünen, 85 zerschossene Häuser in der Ortschaft Westende.




Luftschiff L12:
Fotos 47-54 zeigen in schöner Folge „das Ende von L12“, nämlich das im Wasser gelandete Luftschiff, welches anschliessend in eine Hafenmole geschleppt wird und letztendlich ausbrennt (6 Bilder 5x4cm, 2 Bilder 10x6cm).



Andere Fronten: Fotos 79 und 80 zeigen eine deutsche 21cm-Mörser-Batterie mit Bedienungsmannschaft (neben einem zerschossenen Gehöft, die Soldaten keine Matrosen). Nr. 81 zeigt einen englischen 30,5-cm-Blindgänger, Nr. 86 tote Pferde („Fliegerbombe“ betitelt, hier ein links nummeriertes Kauffoto der Zeit), 87 die Sprengung eines Hauses. Bild 88 zeigt einen wohl notgelandeten deutschen Gotha-Bomber in hügeliger verschneiter Landschaft (wohl in den Vogesen).




Die „Kommanditgesellschaft auf Aktien“ Carl Bödiker & Co. wurde 1896 in Bremen gegründet. 1904 verlegte man den Hauptsitz der Gesellschaft nach Hamburg. Bödiker handelte die verschiedensten Güter, zumeist mit Kunden aus Übersee. Eine Produktliste umfasst u.a. Konserven, Getränke, Tabakwaren und Hausgerät. Bödiker war besonders in den deutschen Kolonien vertreten. In Deutsch-Südwestafrika unterhielt man zahlreiche Dependancen, so z.B. in Lüderitzbucht und Swakopmund. Die Handestätigkeiten lagen dabei sowohl "im Betriebe von Geschäften aller Art, insbesondere in der Ausrüstung von Schiffen und in der Lieferung von Armee- und Marinebedarf", als auch im Diamantenhandel. So hielt Carl Boediker am 17.4.1912 in Berlin beim Deutschnationalen Kolonialverein einen Vortrag zum Thema „Die Verwertung der südwestafrikanschen Diamanten“ (die Bayerische Staatsbibliothek besitzt einen 23seitigen Druck des Textes). 1928 kam es zur Liquidation der Carl Bödiker & Co. und zur Neugründung als Bödiker AG. Firmengründer Carl Bödiker war Sohn des Juristen und Zentrumspolitikers Adolf Franz Josef Bödiker (1835-1893).

Carl veröffentlichte um 1905 den „Familien-Telegraphenschlüssel für Deutsche im Auslande insbes. auch für Angehörige der Armee, Marine, Schutztruppen und Kolonialverwaltung, des Diplomatischen Korps, der Konsularbehörden und Missionen“, eine Art Code-Wörterbuch für sparwillige Nutzer der Telegramm-Kommunikation (aus dem Vowort einer Auflage von 1908: "Bei den hohen Kosten, die Telegramme nach dem Auslande oder von dort in die Heimat den Privatpersonen verursachen, ist die Verabredung bestimmter Stichworte für ganze Sätze von hervorragender Bedeutung..."). Das Buch (kurz „Der Bödiker“ genannt) erlebte Auflagen bis in die späten 1920er-Jahre.

Was die Angehörigen der Familie Boediker im Ersten Weltkrieg in Belgien genau unternahmen, entzieht sich bislang der Kentnis der Historiker.


SW: Bruges, Brugge, Oostende.

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