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Jahr: 1909-1920
Bemerkung:
ArtikelNr. 3271

 

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Private Archivalien aus einem Nachlass, 1909-1920. Themen: Stadtgeschichte Fürstenfeldbruck / Börsenspekulation im Deutschland um 1914.

Der hier angebotene Aktenbestand fand sich 2004 auf dem Speicher des Hauses Ludwigstrasse 20 in Fürstenfeldbruck. Die Archivalien entstammen dem Zeitraum von 1909 bis 1920 und fanden sich im Nachlass einer Marie Stadler (später Pschorr) aus Fürstenfeldbruck. Angelegt hat den Akt höchstwahrscheinlich der Bankbeamte Anton Pschorr, 2. Gatte der Marie.
Gesamt sind im Konvolut enthalten: ca. 28 Bank-Quittungen, Kontoauszüge u.ä., ca. 5 Postkarten, ca. 20 Briefe mit Umschlag, ca. 7 Briefe ohne Umschlag, ca. 40 Durchschläge und Abschriften von Briefen, ca. 5 Schriftstücke verschiedenen Inhalts.

Die Schriftstücke bis 1917 behandeln zumeist den 1910 erfolgten Verkauf eines Hauses in der Pucherstrasse Nr. 51 in Fürstenfeldbruck an eine Frau Dr. Sigl aus München - und die darauf folgenden Streitigkeiten. Ab 1917 geht es um Prozesse, die durch verlustreiche Börsenspekulationsgeschäfte entstanden. Hier klagt zuerst Marie Stadler (ab. ca. 1915 „Pschorr“), dann 2 Jahre später ein Freund der Familie Stadler/Pschorr, jeweils mit tatkräftiger Unterstützung des Gatten der Marie, des Bankbeamten Anton Pschorr. Beklagter ist das „Bankgeschäft Seuss & Strobel“, durch welches die Geschäfte angebahnt und abgewickelt wurden. Seuss & Strobel sind das, was man heute Anlageberater nennt. Etliche Anleger verloren auf Grund von gewagten Börsenspekulationen seitens des Unternehmens gewisse Summen – der Akt dokumentiert, wie zwei Geschädigte versuchen, ihr Geld „zurückzuklagen“. Marie Pschorr kam zu einem Vergleich mit S.u.S., wie der Fall des Freundes der Familie endete ist leider nicht mehr überliefert. Das Bankhaus Seuss und Strobel existierte in München, Nürnberg und Erlangen. Die Familie Seuss blieb der Branche bis heute treu: Nachfahre Stefan R. Seuss betreibt ein Beratungsunternehmen in Salzburg, Miami und Sao Paolo (wie sich im Internet recherchieren liess).

Das Konvolut enthält zahlreiche philatelistische Kostbarkeiten, so z.B. mehrere schöne Reihen ähnlicher Briefe nebst Umschlag, in begrenztem Zeitraum. Oder eine Feldpostkarte vom absurden Kriegsschauplatz „Flugsicherung Memmingen-Buxheim“, 1918. Bemerkenswert ist der Brief einer „Auskunftei“ mit dem schönen Namen „Globus“ von 1910, enthalten ein kurzes Dossier über Vermögensstand und Biographie der Verlegerswittwe Dorothea Sigl. Erstaunlich ist, wie leicht man in den damaligen Zeiten an pikante Details aus dem Privatleben eines Menschen gelangen konnte. Auch der Umschlag (mit Nachnahmegebühr von 12 Mark) ist erhalten. Schön auch bankgeschichtliche Raritäten wie diverse „Schlussnoten“ und Zinsquittungen von Banken, Schriftstücke also, in denen Geldanlagen und rückbezahlte Zinsen bestätigt werden (so einmal die „Chinesische Reorganisation Anleihe von 1913“).


Ausserdem erzählt der Bestand in seinen Briefen und Schriftstücken 3 verschiedene Geschichten: 2 Prozesse gegen Börsenspekulanten, 1918 und 1919, und ein Hausverkauf mit unlieben Folgen 1909-1912 entrollen sich vor dem Auge des Lesers.
Letztendlich ist die erstaunliche Tatsache zu beobachten, daß sich der Krieg in den Schriftstücken der Jahre 1917 und besonders 1918 mit keiner Silbe wiederspiegelt. Man schreibt sich teils fast täglich in den letzten Monaten des Mordens, Reiche zerfallen, Kaiser treten zurück – kein Wort davon. Der hier inventarisierende Historiker ist verblüfft, hätte dergleichen nicht für möglich gehalten.
Schaurig schön ist auch, wie sich die Vergänglichkeit aller irdischen Reichtümer in der Überlieferung der Jahre 1917-1919 zeigt. Man prozessiert inmitten schrecklichster Zeiten um Geld, das doch bald nicht mehr viel wert ist. Ob die Beteiligten dies wahrnehmen konnten, bleibt dahingestellt, doch für den Voyeur spätere Dekaden mischt sich ein sonderliches Unbehagen in jede Zeile Lesefreude.

Die Schriftstücke sind bis auf wenige Ausnahmen genau datiert und lassen sich deshalb wissenschaftlich sauber erfassen. Die Briefe bis 1914 sind zumeist 4seitig. Alle Postkarten und Briefumschläge sind gestempelt, die Briefmarken vorhanden. Ab 1917 sind mehrheitlich Durchschläge von handschriftlichen Briefen erhalten, vereinzelt auch maschinenschriftliche Briefe oder handschriftliche Abschriften von Briefen. Zustand der Archivalien: Etwas berieben, teils Faltfalzen, vereinzelt Eselsohren; sonst gut.




Hier ein kurzes Repertorium der Schriftstücke:

1907-1915 --------------
Gesamt 22 Zinsen-Quittungen der Süddeutschen Bodenkreditbank (1.5.1907-1.11.1914) und der Bayerischen Vereinsbank (1.7.1912-1.1.1915). Ab November 1907 wird (jeweils 2 Mal pro Jahr) bestätigt, daß Franz Stadler (ab 1913 Marie Stadler) Zinszahlungen für ein Darlehen von 9000 Mark bei der Bodenkreditbank eingebracht hat. Quittungen der Vereinsbank belegen, daß ebenso Zinszahlungen für eine Hypothek auf das Anwesen Kapuzinerstrasse 21 (bis 1.1.1913) und dann Pucherstrasse 51, jeweils Fürstenfeldbruck, eingebracht wurden. Erhalten ein Umschlag, in dem die Belege archiviert wurden. Hier wird das Anwesen Kapuzinerstrasse 21 mit Ludwigstrasse 20 betitelt, wohl ein Beleg dafür, daß es in Fürstenfeldbruck zu Straßenumbenennungen gekommen war.


1909 ----------
- Postkarte des Schwagers Georg (aus Rosenheim) an Franz, dat. 12.3.1909. Georg will sich in München treffen. Auf Vorderseite steht handschr. (von anderer Hand, des Franz?) „5000 Mk. Nur für ihn am Rentamt angeben“.
- Brief von Schwager Georg an Franz und Marie, dat. 16.3.1909. Mitgeschickt (nicht erhalten) wurden auch 2 Pfandbriefe der „Pfälzischen Hypo Bank“ über gesamt 4.000 Mark und ein Schuldschein über 5000 Mark. In dem auf den 16.3.1909 datierten Schuldschein leihen die Eheleute Franz und Marie Stadler 5000 Mark von den Eheleuten Georg und Anna Trauner aus Rosenheim, Zinssatz 4%. Georg errechnet in dem Brief, wieviel Zinsen ihm die 5000 Mark bei derzeitiger Anlage brächten und hätte diese Summe (31.48 Mark) gerne „gelegentlich“ übersendet. Zu welchem Zweck die Stadlers das Geld benötigten, bleibt leider unklar. Georg schließt so: „Indem ich dem Wunsch Ausdruck gebe, daß dieses ‚große Geldgeschäft‘ unsere herzlichen Beziehungen nur noch enger knüpfen wird, bin ich .....“.
- Postkarte des Georg an Franz, dat. 24.3.1909. Georg ist verunsichert, ob die 5000 Mark, die er dem Franz „sendete“, auch angekommen sind und bittet um Empfangsbestätigung.
- Brief (mit Umschlag) von Jeannette Dippert an „Frau Stadler“, dat. 19.12.1909. Dippert schreibt „im Auftrage meiner Mama“. Sie will wissen, wie weit die Maler- und Austattungsarbeiten in der „Villa“ fortgeschritten sind, und versichert, „daß Mama die Villa nehmen wird“. Mama ist eine „Frau Dr. Sigl, Rentière, München, Tengstr. 10“. Auf S. 4 des Briefs der Entwurf des Antwortbriefes der Stadler (in Bleistift, mit Korrektionen) an die Mama. Sie teilt dienstfertig mit, daß die Arbeiten fortgeschritten sind und hofft, daß der Kauf zustande kommt.
- Karte von Frau Sigl an Marie Stadler, undatiert (Ende Dezember 1909). Sigl wird erst Anfang 1910 ihr neues Domizil beziehen.

1910 ----------
- Kaufvertrag, dat. 6.1.1910 (1 Blatt). Hier wird der Kauf der „Villa an der Pucherstrasse mit Vor- und Rückgarten“ an die Frau Sigl festgehalten. Kaufpreis 17.500 Mark. Als Anzahlung erhält der Stadler 4.000 Mark in Papieren der „Aschaffenburger Maschinenfabrik“. Die fehlenden 13.500 Mark werden durch diverse Hypotheken bezahlt. Barzahlung oder Banküberweisungen sieht der Vertrag gar nicht vor.
- Schlussnote des Bankhauses Alfred Lerchenthal in München an Frau Dr. Sigl, dat. 18.1.1910. Ein Guthaben von 2000 und Zinsen von 5,90 Mark werden durch das Bankhaus bestätigt, angelegt ist das Geld in Pfandbriefen der Bayerischen Handelsbank.
- Postkarte der Sigl an Frau Stadler, dat. 20.1.1910. Sie bittet um Aufstellung der geschickten Möbel „im großen Zimmer“.
- Brief der Sigl an Franz Stadler, dat. 25.1.1910, mit der Bitte um Aufstellung eines Ständers in der Diele.
- Brief des „Büro Globus München, Schützenstrasse 1a“, (2 Blatt, mit Umschlag), einer Auskunftei - eines Detektivbüros, wie man heute sagen würde – an den Franz Stadler, dat. 31.1.1910. Der zweiseitige Brief trägt die Überschrift: „Recherchen über Frau Dorothea Sigl, Verlegerswitwe München, Tengstr. 10 bezw. deren früheren Hausbesitz in Unterföhring“. Stadler konnte lesen, daß Siegl gerade ein Haus für 17.000 Mark verkauft habe, wovon 14.000 in Hypotheken vorlägen. Der Preis von 17.000 sei indes viel zu hoch gewesen, „und sind sich auch die Eheleute G. [die Käufer] bewusst, viel zu teuer gekauft und von Frau S. übervorteilt worden zu sein“. Dazu laufe gegen Sigl ein Prozess, ihr Schwiegersohn klage auf 25.000 Mark aus dem Erbe ihres verstorbenen Gattens. „Frau S. selbst wird als vermögend geschildert und ist sie eine, wie man sagt, sehr gewaschene Person, die nur nach Geld hastet. ..... Es ist also immerhin geboten, bei geschäftlichen Unterhandlungen mit der Angefragten sich genau zu vergewissern und Vorsicht walten zu lassen“. Wie die Detektive dies alles herausfanden, bleibt unklar. Im Kleingedruckten sichert sich die Auskunftei gegenüber allen Unwägbarkeiten ab. Eine Auskunft werde „unter ausdrücklicher Ablehnung jeder Verantwortung im Falle eines Irrtums, sowohl seitens des Bureaus als auch dessen Korrespondenten“ erteilt. Dazu heißt es: „Die gegebene Auskunft ist streng privatim, nur für die Person des Anfragenden bestimmt und darf an Dritte niemals mitgeteilt werden.“ Oben auf dem 1. Blatt sind der Diktierende und der Maschinenschreibende der Auskunftei mit Kürzeln vermerkt. Bemerkenswert auch, daß die Bezahlung der Schnüffelei anonym per Briefträger vonstatten ging. Auf dem Umschlag wird extra vermerkt „Nachnahme Mk. 10,20 Zehn Mark 20 Pf“.
- Kopie eines Briefes von Stadler an die Frau Sigl, undatiert (ca. 1.2.1910). Stadler will vom Kaufvertrag zurücktreten, da die Hypothek „nicht wie Sie sagten gut, sondern sehr schlecht ist“, wie er schreibt. Solle sie auf Erfüllung des Vertrages bestehen, müssten gewisse Passi der Hypotheken geändert werden.
- Brief der Sigl an Franz Stadler, dat. 3.2.1910. Sie wundert sich über die plötzlichen Bedenken des Franz bzgl. der Hypothek und ist bereit, diese selber zu übernehmen. Was die „Villa“ betrifft, ist sie jedoch unerbittlich: „Ich bestehe an dem gegenseitigen Kaufvertrag“, heißt es. Dazu: „Hat mich schon dieser Brief, den ich nicht von Ihnen erwartete, in große Aufregung versetzt, was mein leidender Zustand nicht vertragen kann. Ich vermute, daß das Ganze auf böswilliger Verleumdung und Klatsch beruht! ... Sie haben es nicht mit einer Schwindlerin ... sondern mit einer hochachtbaren Frau zu tun“.
Wahrscheinlich hatte die Sigl die Hypothek der Käufer des Hauses in Unterföhring in ihre Zahlung „einfliessen“ lassen, was dem Stadler denn doch spanisch vorkam. Sigl hat mit zittriger Hand unterschrieben, der Brief wurden offenkundig von einer anderen Person geschrieben!
- Brief der Jeannette Dippert an Franz Stadler, dat. 9.2.1910. Sie bittet um die Feuerversicherungspolice. Diese benötige ihre Mutter „um die Hypothek zu regeln“. Auf Seite 2 des Briefes der handschr. Entwurf eines Antwortschreibens des Stadler, fast unlesbar.
- Brief der Sigl an Stadler, undatiert. Die Unterschrift ist hier nicht zittrig, sondern von identischer Hand wie der Rest des Briefes. Sigl wundert sich erneut über die plötzlichen Einwendungen des Stadler und betont, gesamt 6.000 Mark angezahlt zu haben. Nach „Erledigung der Hypothek haben Sie die ganze Summe“, beteuert Sigl, dazu: „Sobald die Versicherung geregelt, werde ich die Sache schnellstens ordnen“.

1912 -------------
- Brief des Schwagers Georg an Franz, dat. 8.3.1912. Georg will gerne die 5.000 Mark zurück, die Franz von ihm geliehen hatte, falls dies aber nicht gleich machbar sei, könne er warten.
- Postkarte des Georg an Franz, dat. 12.3.1912. „Der Termin ist gänzlich dir überlassen“ schreibt Georg – wohl, da Franz eine sofortige Ausbezahlung nicht ermöglichen kann.
- Brief der Frau Sigl an Franz Stadler, dat. 12.4.1912 (Umschlag fehlt). Die Witwe Sigl lebt mittlerweile in Fürstenfeldbruck. Sie will 21,29 Mark von Stadler zurück, die wegen der Feuerversicherung angefallen seien. Es seien im Haus so viele Dinge unvorbereitet zu reparieren, daß sie das Geld brauche.
- Brief der Mama Sigl an Stadler, dat. 27.4.1912. Sie ist sehr zornig auf Stadler, droht aber nichts an. „Nun weiß ich, mit wem ich es zu tun habe“ schließt ihr Brief.
- Brief den Georg an Franz, dat. 28.9.1912. Georg will erneut sein Geld zurück und bittet höflichst, zum 1.12. des Jahres zurückzuzahlen.
- Brief des Georg an Franz, dat. 6.11.1912. Bestätigt den Erhalt von 5019, 45 Mark und schickt den Schuldschein vom 16.3.1909 zurück.

1914 -------
- Schlussnote der Bayerischen Vereinsbank, dat. 4.4.1914. Herrn Georg Taubenhuber aus Feldkirchen wird bestätigt, 1000 Mark und 92,70 Mark zu besitzen, festgelegt in „5% Chinesische Reorganisations Anleihen von 1913“ (mit Marke).
- Kontoauszug der Marie Stadler vom Bankhaus Landauer, dat. 12.6.1914. 1000 Mark werden für einen Tag gebucht, Grund unklar.

1915 --------------
- Quittung des Albert und der Babette Hartl, dat. 1.1.1915. Die Eheleute bestätigen der Maria Stadler, daß sie 1.550 Mark der von den Hartls geliehenen Summe von 4.000 Mark „nebst Zinsen ... richtig zurückbezahlt“ hat. Familie Hartl lebt in Taufkirchen.
- Quittung des Bankhauses „E. Landauer Nachfolger, München Sonnenstrasse 24“, dat. 20.1.1915. Die Bank bestätigt, daß Marie Stadler 103,15 Mark „acto zur Rückzahlung des Darlehens vom 9.10.1914“ einbezahlt. Der Umschlag ist erhalten, abgestempelt die Quittung in Fürstenfeldbruck (hier noch „Bruck bei München“ genannt).

1917 ------------------
1913 ist der Franz Stadler gestorben. Todesursache unklar. Seine Gattin nimmt durch Heirat spätestens 1917 den Namen Pschorr an. Die folgenden Schriftstücke des Aktes beziehen sich auf Marie und Anton Pschorr’s Prozess gegen die beiden Börsen-Anlageberater Ludwig Seuss und Hans Strobel, „Seuss und Strobel Bankgeschäft“, Schützenstrasse 1a, München.

- Brief von „Bankgeschäft Seuss und Strobel“ an Marie Pschorr, dat. 10.6.1917. S.u.S. schreibt: „Wir ... verwahren uns gegen ihre anmassenden haltlosen Auslassungen, die jedenfalls bezwecken sollen, Ihre längst fällige, bis heute gestundete Schuld wegzudrohen. .... Sie betätigten sich ja schon vordem, wie Sie sagten, umfangreich mit Spekulationsgeschäften [dieser Passus wurde von Hand, wohl von Pschorr, unterstrichen] bei anderen Bankfirmen, mit welchen Sie jedoch angeblich nicht zufrieden waren ... Ihre Nordd. Lloyd – und Kanada-Aktien können Sie jederzeit gegen Bezahlung ausgeliefert erhalten .... Unsere Herren befinden sich augenblicklich hier, sodass Sie sich die Mühe ersparen können, die Feldadressen anderwärts beschaffen zu müssen."
- Brief von S.u.S. an Marie Pschorr, dat. 16.6.1917. Sie verbitten sich die in einem Schreiben der Pschorr „enthaltenen beleidigenden Bemerkungen“. Sie schreiben: „Früher redeten Sie so gross und nun spielen Sie die arme unerfahrene Witwe, während der geschädigte Bankier ... jetzt [von Ihnen] als Betrüger hingestellt wird. ... Die nach Ihrem freien Willen mit uns [dies wieder unterstrichen] getätigten Geschäfte sind einwandfrei, was wir jederzeit zu beweisen im Stande sind und kann auch Ihre Drohung mit der Staatsanwaltschaft daran nichts ändern. ... Nachdem wir unser Geschäft in nächster Zeit liquidieren wollen und dieserhalb mit dem grössten Teil unserer Kundschaft bereits abgewickelt haben, sind wir auch bereit, die Angelegenheit zu gütlichen Wege zu regeln. Anderfalls wir Sie auf Abnahme Ihrer bei uns laufenden Engagements verklagen wollen“.
- Brief von S.u.S. an Pschorr, dat. 16.7.1917 (3 Blatt). S.u.S. fordert, „daß wir in Verrechnung auf unser Guthaben bei Ihnen die uns geleistete Sicherheit in Wertpapieren übernehmen“; ferner heißt es, „dass Sie uns ... einen Vorschlag wegen Ablösung der zur Sicherheit bestellten Hypothek machen“. Die ersten beiden Seiten des Briefes füllen Verteidigungsargumente des Unternehmens. Man wehrt sich gegen haltlose Anschuldigungen, ausserdem heisst es: „Wir müssen Ihnen das Recht absprechen, von uns Auskunft über geschäftliche Entschliessungen unserer Firma [zu verlangen], wie etwa darüber, ob wir der Münchener Bankvereinigung angehören und weshalb wir unsere Vertreterbeziehungen zur Versicherungsbank lösten“. Aus dem Text geht hervor, daß die Pschorr Spekulationsgeschäfte mit dem Bankhaus und zuvor auch mit anderen Banken getätigt hatte. Sie hatte „durch die zahlreichen Besuche in unserem Geschäftslokal“ und viele Telefonanrufe eine rege Anteilnahme am Geschäft gezeigt und sicherlich zahlreiche Spekulationen getätigt. Dabei scheint sich Pschorr verspekuliert und anschliessend beim Bankhaus Geld für weitere Investitionen geliehen zu haben.
- Schriftstück der „Auskunftei W. Schimmelpfeng“, dat. 27.7.1917. Das Schreiben stellt eine kurze Recherche zum Bankgeschäft Seuss & Strobel dar. Die beide aus eher kleinen Verhältnissen stammenden „Sozien“ „..befassen sich mit allen einschlägigen Geschäften der Bankbranche, hauptsächlich jedoch mit der Ausführung von Börsenaufträgen für ihre Kundschaft ..“ Im Mai 1915 habe man in Mering eine Firma gepachtet, die „im Heeresinteresse“ arbeite. Das Schreiben schließt mit: „Die Inhaber geniessen besten Ruf“.

1918 -------------------
- Abschrift eines Briefes des „Centralverband des deutschen Bank- u. Bankiergewerbes e.V., Berlin“ an Pschorr, dat. 17.1.1918. Der Beauftragte Bernstein schreibt, „daß die betreffende Münchner Firma uns bereits seit vielen Jahren als unzuverlässig bekannt ist. Nach einer aus dem Jahre 1912 stammenden Auskunft hätten beide Inhaber damals den Offenbarungseid geleistet gehabt“.
- Abschriften von Zeitungsartikeln der Frankfurter Zeitung vom 4. und 10. 7. 1912. Es geht um spekulative Bankgeschäfte der Bankhäuser Cassel & Ambach, Berlin, Reich & Co., Berlin u.a. – Seuss war früher bei Cassel & Ambach angestellt und arbeitete auch als Selbstständiger weiterhin mit dem Bankhaus zusammen. Im Artikel heißt es, daß ein Agent des Hauses Reich, „namens Peischeles, speziell Süddeutschland bereise, um die Shares einer ‚Reforma Mines of Mexiko Ltd.‘ ... an den Mann zu bringen. Erkundungen, die bei einer Londoner Bank eingezogen wurden, hatten das Resultat, dass die Shares an der Londoner Börse ‚gänzlich unbekant‘ seien“. Weiterhin steht im Artikel: „Es ist vielleicht von Interesse, darauf hinzuweisen, dass die Hauptvertriebsstelle dieser Reforma-Shares die Firma Cassel & Ambach in Berlin ist, die früher in Nürnberg domilizierte, dann aber vor wenigen Jahren nach Berlin übersiedelte. Den Grund für diesen Domizilwechsel hat man wohl darin zu suchen, dass die Firma Cassel & Ambach fast das ganze südliche Bayern mit den Kluxen einer Hannoverschen fruchtlos auf Kali bohrenden Gewerkschaft ‚Glückauf-Bayern‘ zu exorbitant hohen Preisen hereingelegt hatte ... Dieselbe Firma Cassel & Ambach war im vorigen Jahr [also 1911] eifrigst und leider mit grossem Erfolg bemüht, die Shares einer ‚International Oil-Briquette Co. Ltd.‘ in das deutsche Publikum zu bringen, .... [die] über kurz oder lang der völligen Entwertung anheimfallen und gänzlich unverkäuflich [sein] werden.“

- Brief eines Bankbeamten und Prokuristen der Bayerischen Versicherungsbank“ an Anton Pschorr, dat. 17.1.1918. Der Kollege schreibt, daß es 1912 der Bayerischen Versicherungsbank nicht recht gewesen sei, daß S.u.S. „Briefpapier mit dem Kopf ‚Vertreter der Bayerischen Versicherungsbank und der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank‘ verwendeten. „Dies streng vertraulich!“ Der Schreiber wundert sich, „nachdem Sie mich als Schulkamerad ansprechen, wann und in welcher Schule wir beisammen gewesen sind“ da er den Namens Pschorr im „Schulkameradenkreise“ nicht erinnern kann.
- Brief der Kanzlei Jacoby, Jacoby und Friedlaender an Anton Pschorr, dat. 17.3.1918. Ein Rechtsanwalt berichtet, daß S.u.S. 1913 bereits einen Prozess führten, der durch Vergleich endete. Dann schreibt er: „Wenn Sie Besorgnis haben wegen der Solvenz der Firma Seuss & Strobel, bin ich bereit, Antrag auf Einstweilige Verfügung zur Hinterlegung der Papere zu stellen. ... Erfolg ist natürlich unsicher“.
- Durchschlag eines Briefes des Anton Pschorr an den „Vorschuß-Verein zu Groß-Nenndorf“, dat. 19.3.1918. Pschorr schreibt dem Prozessgegner Suß‘ von 1913 und hat einige Fragen zu S.u.S. Er erzählt, daß er und seine Frau sich mit S.u.S. im Prozess befänden und diese 1914 „meine Frau zu sehr umfangreichen Börsen-Spekulationen (Umsatz über 700.00.-) veranlaßt“ hätten. Pschorr fragt, ob er interne Unterlagen des Vorschuß-Vereins zum Prozeß einsehen dürfe.
- Brief vom Vorschuß-Verein zu Groß-Neundorf an Pschorr, dat. 25.3.1918 (mit schönem Umschlag). Der Verein habe sich friedlich mit S.u.S. geeinigt, von einer Forderung von 10.000 Mark haben diese 8.000 beglichen. Einsichtnahme des Pschorr in interne Akten sei natürlich nicht möglich.
- Mitteilung der Frankfurter Zeitung an Anton Pschorr dat. 7.4.1918 (2 Schreiben und Umschlag). Enthalten eine Abschrift eines Zeitungsartikels vom 24.3.1912 nebst Begleitschreiben. Im Artikel heisst es: „Eine Firma Seuss u. Strobel, Bankgeschäft in München, ist ebenfalls ... am Werke, durch persönlichen Besuch Leute, die für Börsengeschäfte offenbar gar kein Verständnis besitzen, zu Spekulationen zu veranlassen.“
- Postkarte des Franz Heinzinger (betitelt „Bad- und Luftkurort Weiherhaus, Buxheim bei Memmingen, Besitzer Emil Kaufmann“) an Pschorr, dat. 19.6.1918. Gruß an die Familie.
- Durchschlag eines Briefes von Pschorr an Heinzinger, dat. 21.6.1918. Heinzinger dient in dem Anwesen tatsächlich als Soldat, nämlich bei der „Flugwache Memmingen–Buxheim“. Pschorr schreibt: „ ... Wie mir meine Frau sagte, wollten Sie mich in Sachen der Firma S.u.S. in München sprechen. Wie Ihnen vielleicht bekannt, stand meine Frau mit genannter Firma ebenfalls in Verbindung und hat mit dieser abgewickelt. Dank des mir von Berlin mitgeteilten Materials und meiner sonstigen Bemühungen ist es mir gelungen, die Firma zu zwingen, meine Frau vollständig schadlos zu halten und die gestellten Sicherheiten herauszugeben. Ich bin gerne bereit, Ihnen ... das gesammelte Material zur Verfügung zu stellen ....“.

1918 – 1919 ---------------
Die folgenden Schriftstücke beziehen sich auf den Prozess des Heinzinger gegen S.u.S., die Inventarisierung der Quellen geschah hier teils nur oberflächlich, da der Inhalt nicht viel Neues versprach. Wie der Prozess endet, ist nicht bekannt. Die Überlieferung schließt mit einem Schreiben der Kanzlei Jacoby an Anton Pschorr, datiert auf den 24.6.1919. Dies Schreiben sei hier wiedergegeben: „Sehr geehrter Herr Pschorr. In der Sache Henzinger gegen Seuss & Strobel, in welcher auf Donnerstag, den 26.Juni 1919, vormittags 10 ½ Uhr (Zimmer Nr. 88/1) Termin ansteht, ist bei mir gestern ein längerer Schriftsatz eingelaufen, über den ich noch gerne vor dem Termin mit Ihnen gesprochen hätte. Ich würde Sie daher bitten, sich wennmöglich morgen (Mittwoch) Nachmittag gegen 5 Uhr in meiner Kanzlei zur Besprechung einzufinden. Herrn Heinzinger, gegen den der Schriftsatz neuerdings Ausfälle enthält, lade ich gleichzeitig für die gleiche Zeit zur Besprechung ein.“
Pschorrs Kandidat Heinzinger scheint sich als wenig verlässlich entpuppt zu haben. Ob es nun wirklich bei S.u.S. zu Unlauterkeiten gekommen war, oder sich die Parteien durch Vergleich einigten, bleibt schließlich unerklärt.
Unklar ist letztendlich, weshalb der Pschorr sich dermassen in die Belange des Heinzinger einmischte und weshalb für ihn der Kampf gegen S.u.S. trotz des 1918 geschlossenen Vergleiches eine solche Wichtigkeit besass.

- Kopie eines Schreibens des Heinzinger an Pschorr, dat. 12.7.1918. H. will ein Treffen vereinbaren.
- Schreiben des Pschorr an RA Hugo Jacoby, München, dat. 15.7.1918. Pschorr erzählt, daß die Familie Heinzinger mit seiner Familie „sehr befreundet“ sei. Er meint, „daß die ganze Sache mit jener meiner Frau identisch ist, nur daß durch einen eigentümlichen Vertrag die Bewucherungsabsicht noch deutlicher zu Tage tritt und die Umsätze in Soll und Haben den Betrag von 2 ½ Millionen übersteigen ...“ Anhängend Kopien eines Schreibens von H. an S.u.S. (kündigt Klage auf „Schadloshaltung“ an, dat. 13.7.1918) und an RA Jacoby (erbittet Vertretung in Klagesache, dat. 13.7.1918).
- Schreiben der Jacoby an Pschorr, dat. 15.7.1918 (mit Umschlag). Fragen zu Heinzinger.
- Durchschlag eines Briefes von Pschorr an den Heinzinger, undatiert (ca. 15.7.1918). Pschorr meint nach Durchsicht der Akten des Heinzinger, daß S.u.S. ldem H. 20.000 Mark schuldeten, informiert ausserdem, daß RA Jacoby die Akten ebenfalls durchgesehen habe.
- Durchschlag eines Briefes von Pschorr an Jacoby, dat. 16.7.1918. Pschorr schreibt: „Zu den Börsengeschäften wurde Heinzinger von J. Strobel verleitet, der Heinzinger als Agent einer Fabrik für Molkereieinrichtungen kennen lernte.“
- Abschrift eines Schreibens von Heinzinger an Pschorr, dat. 30.7.1918. Hieraus geht hervor, daß H. sicher seit 1912 mit S.u.S. Geschäfte tätigte.
- Abschrift eines Briefes des Pschorr an den „Centralverband des Deutschen Bank- und Bankier Gewerbes“, Berlin, dat. 5.8.1918. Hier geht es um die Bankgeschäfte „Jacobi und Hauer“ und „Cassel & Ambach“, die ebenfalls in dubiose Geschäfte verwickelt waren und den Heinzinger schadeten.
- Brief der Kanzlei Jacoby an Pschorr, dat. 16.8.1918 (mit Umschlag). Hier geht es um die Causa Heinzinger, interessant nur ein Vermerk, daß ein Prozess Pschorr gegen S.u.S „seinerzeit“ geführt worden war (wohl Anfang 1917).

Dann, nur mehr summarisch erfasst:
- Abschriften von Briefen des Pschorr an Jacoby bzgl. der Causa Heinzinger: 31.7.1918, 7.8.1918 (7 Seiten, hier ist alles Material zusammengetragen), 31.8.1918, 10.9.1918, 15.9.1918, 22.9.1918, 21.10.1918, 24.10.1918 (mehrseitig), 27.12.1918, 24.5.1919, 27.5.1919 (mehrseitig), 8.6.1919.
- Briefe der Kanzlei Jacoby an Pschorr bzgl. der Causa Heinzinger (Briefe mit Umschlag, wenn nicht anders angegeben): 20.9.1918, 28.12.1918, 8.3.1919, 1.4.1919, 5.5.1919, 31.5.1919 (kein Umschlag), 6.6.1919, 24.6.1919.
- Abschriften von Briefen des Pschorr an Heinzinger: 1.8.1918, 5.8.1918, 9.8.1918, 18.8.1918, 12.9.1918, 20.9.1918, 24.10.1918,
- Abschrift von Briefen des Heinzinger an Pschorr: 7.8.1918, 11.8.1918 (nebst Abschrift eines Briefes des RA Schilein an H., dat. 10.8.1918); 21.8.1918, 12.9.1918 (schöner Feldpostbrief, verso mit Adressfeld, Stempel etc.), 26.9.1918 (mit Umschlag); 18.10.1918 (mit Umschlag mit schönem Stempel ‚Memmingen München Bayer. Bahnpost, Zg. 718 604, 18.10.“);
- Abschriften von Briefen diverser Beteiligter (7.10.1918, Centralverband an Pschorr wg. Anfrage zu Cassel & Ambach); (15.9.1918, Pschorr an C.); (24.9.1918 Pschorr an Münchener
Neueste Nachrichten wg. gesuchtem Zeitungsartikel zum Thema Aktien „International Oil Briquette“); (dito, 8.10.1918); (Aufschrift des P. bzgl. eines abendlichen Treffens mit Jacoby, dat. 8.10.1918); (Brief der MNN an Pschorr, Zeitungsartikel sei nicht bekannt, dat. 11.10.1918, mit Umschlag);
- Mehrseitiger Schriftsatz des RA Siegel, der S.u.S. vertritt, an RA Jaboby (Vertreter des Franz Heinzinger) und an das Landgericht München I, 2. Zivilkammer, dat. 28.4.1919. Siegel erhebt seinerseits Klage gegen den Heinzinger „wegen Abnahme und Feststellung“. Siegel schreibt, daß Seuss einem Vergleich mit Pschorr nur deshalb zugestimmt hatte, weil er „damals schwer krank darnierderlag ... und für den Fall seines Ablebens, womit er damals rechnen musste, seiner Wittwe nicht den Rechtsstreit zum Durchkämpfen hinterlassen wollte“. Auch sei der Heinzinger keinesfalls unerfahren im Spekulationsgeschäft gewesen, er habe „Wechselgeschäfte“ betrieben, „angeblich auch Wuchergeschäfte“ Ausserdem sei er „durch den Prokuristen Friedmann ... ganz genau über die Börsengeschäfte, die er mit den Beklagten [S.u.S] machen wollte, unterrichtet und über die Höhe der Beträge und das eingegangene Risiko ... belehrt“ worden. Heinzinger habe sich gar „mit dem Rechtsanwalt Schielein wiederholt in Geschäftsräumen der Klägerin [S.u.S.]“ aufgehalten, „wo die beiden verschiedene Transaktionen in Börsenpapieren vornahmen. Auch Wechselgeschäfte haben die beiden Herren bei der Klägerin gemacht“, heißt es noch.
- Diverse handschr. Kopien von Bilanz-Kontoaufstellungen der Stadler oder des Heinzinger bei Seuss und Strobel, 1912-1915. - 1 Blatt „Zusammenstellung der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank für das offene Depot Nr. ...“; - Ca. 10 zusammenhängende Blatt, Bilanz-Aufstellung von Provisionen, Gebühren etc. für den Zeitraum Januar 1912 bis Dezember 1914 für ein ungenanntes Konto eines ungenannten Eigners (wahrscheinlich eine handschr. Kopie des Pschorr der vom Bankhauses Seuss und Strobel geführten Kontounterlagen des/der Stadler oder des Heinzinger; - wie vor, für den Zeitraum Oktober 1913 bis Ende 1915 (hier sind erneut Aktienpakete bzw. Anleihen genannt, z.B. Transvaal North Shares, Lloyd). – Ca. 10 zusammenhängende Blatt, betitelt „Herrn Franz Heinzinger, Fürstenfeldbruck, im Conto-Korrent von Seuss und Strobel, München“, Bilanzaufstellung aller einzelner Posten (darunter Anleihen bzw. Aktienpakete u.a. von Harpener, Schuckert, Westrand, Phönix, „Gelsenkirch.“, „Deutsch-Luxemburg“, „Canada“, für das gesamte Jahr 1912;
- dazu noch diverse Bankzettel (Zinsgutschriften, Kontoauszug etc.) der Stadler von 1922.

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